3 Nachschriften 3
II.- PS von »Rassen« (*1) und anderen Unterschieden.
Ein Kontinent, viele Farben.
Wenn Sie jede Geographie in einer anderen Farbe malen würden, welche würden Sie wählen?
Nehmen wir an, für den amerikanischen Kontinent würden Sie gelb-orange wählen. Das ist eine Farbe, die im Norden des Kontinents sehr in Mode ist. Sehr im Einklang mit der gringo-ICE (*2), deren Truppen ihr Gesicht verbergen, um nicht zu zeigen, dass ihre Hautfarbe vielleicht dieselbe Farbe hat, wie die von ihnen Verfolgten. »Beaners« oder »Bohnen-Fresser« lautet die despektierliche Bezeichnung, die sie verwenden, um ihre Opfer zu verfolgen. Mit einer Doppel-Referenz auf das, was [alltäglich] gegessen wird, sowie die Farbe ihrer Haut. Auch wird üblicherweise der Begriff »Kleine Braune« (»Brownies«) benutzt.
Hautfarbe und kulturelle Identitäten sind für die oben und ihre Auftragsmörder ein Zugriff zur Identifizierung des Feindes, um ihn zu liquidieren. Als die mexikanische Armee (heute so sehr verehrt vom Progressismus, der früher gegen sie protestierte) 1995 in zapatistisches Gebiet eindrang – ein Ergebnis des Verrats von Ernesto Zedillo Ponce de León im Februar desselben Jahres (*3) – griff sie die Comunidades, die Gemeinden an, um die wenigen Habseligkeiten der [Pueblos] Originarios zu rauben (so wie es heutzutage die sogenannten Schnellen Einsatzkräfte Pakal der Bundesstaatenregierung von Chiapas tun). Beim Eindringen schrien die Soldaten: »Verdammte Indios-Pozol-Schlucker!«
Das Paradoxe war: Als sie desertierten, kamen die Soldaten durch die dieselben Comunidades, die sie zuvor geplündert hatten, und flehten nun um ein wenig … Pozol (*4).
Lassen Sie sich jedoch nicht von heutzutage politisch-unkorrekten Erinnerungen ablenken. Wir sprachen ja gerade von Hautfarben.
Es gibt da noch mehr, beispielsweise die Sprache. Für Herrn Trump ist evident: Die »Bohnen-Fresser« sprechen nicht nur das Englische sehr anders, sie haben auch ihre eigene Sprache geschaffen.
Im Januar 1994 als zehntausende von Bundessoldaten in Chiapas ankamen, um den »Gesetzesübertretern« ein Ende zu machen, erzählte uns ein Offizier – der desertiert war als er merkte, wen er da eigentlich verfolgte – dass die Soldaten die höheren Befehlsgeber gefragt hätten, wie denn »die Zapatistas« zu identifizieren wären. Die Generäle gaben zur Antwort: »Sie sind kleinwüchsig, von dunkler Haut, sprechen schlecht oder gar nicht Spanisch, und ihre Kleidung sieht nach Museum oder Kunsthandwerksladen aus.« Die Truppe schaute sich untereinander an, denn es gab Millionen [an Leuten], auf die diese Beschreibung zutraf.
Ich bringe diese Erinnerung ein, weil sie [auch] die »Verbrecher«-Merkmale abbildet, welche die gringo-ICE benutzt, um Migrant*innen zu verhaften, zu prügeln, einzusperren und zu deportieren.
Spielt es eine Rolle, dass der*die Verhaftete Papiere hat? Nein. Wichtig ist seine*ihre Hautfarbe, sein*ihr Slang, Argot, Schnack (hier sagen wir dazu »der Modus, die Art und Weise«), sein Schnurrbart, seine*ihre bequeme Kleidung und dass sie*er, angesichts der Wahl zwischen einem Hamburger und einigen Tacos, … die Tacos bevorzugt (»bitte, mit Koriander, Zwiebel, Tomate und viel Soße«). Wenn sie*er noch Teil der LGBTIQ+-Bewegung ist, nun, dann ist sie*er ein*e Verbrecher*in mit allen Strafverschärfungen.
In den ersten Jahren des [zapatistischen] Aufstands wurde in den Kasernen der [mexikanischen] Armee alles Mögliche getan, um die Truppe davon zu überzeugen, die Zapatistas anzugreifen. Sie präsentierten den Soldaten beispielsweise Theaterstücke (ein wertvolles pädagogisches Unterfangen), worin der verstorbene SupMarcos gay, homosexuell, Stricher, Tunte, bunter Käfer, Aufreißer, Kopfkissen-Heuler war – oder wie auch immer sie jetzt dazu sagen mögen. Alle wollten die Rolle des verstorbenen SupMarcos spielen, denn hübsch war der Kerl – ja, jedem das Seine.
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Wir haben mit Hautfarben begonnen, von dort [ging es] zu Kultur, Sprache, Körpergestalt, Essen, Kleidung, sexuelle und affektive Identität, etc. Fügen Sie jetzt Ihre legale oder nicht-legale Bedingtheit hinzu, eine andere Geographie als Ihren Geburtsort zu haben oder Ihre Vorfahren. Migrant*in zu sein oder migrantische Eltern, Großeltern, Urgroßeltern zu haben. Hierin liegt Ihr Profil des Verbrechers, den es zu verfolgen gilt.
Betrachten Sie nun jegliche Geographie und identifizieren Sie die Personen, die mit diesem »wissenschaftlichen« Profil übereinstimmen (das würde jede US-amerikanische Serie bekümmern, worin der Polizist immer als brillant, gutaussehend und vor allem nicht-korrumpierbar sowie das Gesetz achtend dargestellt wird). Nun, Sie werden sehen, es sind Millionen [auf die es zutrifft].
Ohne abzuschweifen: In den Schlüsselpositionen von Trumps Kabinett sind Nachkommen von Migrant*innen. Wir würden sagen, dass Marco Rubio, Außenminister, keinen besonders englisch klingenden Namen trägt; er ist Sohn kubanischer Migrant*innen. Kristy Noem, Ministerin für Heimatschutz, ist norwegischer Herkunft. Ohne Kabinettsposten (noch nicht) gibt es da den ultrarechten Senator Ted Cruz, der einen kubanischen Vater namens Rafael hat. Lori Chavez, Arbeitsministerin, ist mexikanischer Herkunft. Trump selbst ist Nachkomme von Migrant*innen und seine Frau Gattin gebürtige Slowenin.
Da es mit solchen Kriterien schwierig ist zu differenzieren, möchten wir nun das wiederholte Argument platzieren: Es sind Delinquenten. Was in Wirklichkeit nicht gesagt wird: Jene gelten als »potenzielle Straftäter«.
Lassen Sie mal außen vor, dass einige aus dieser Regierung des sexuellen Missbrauchs und des Drogenmissbrauchs beschuldigt werden. Es ist ja nicht erwiesen. Somit konzentrieren Sie sich auf, diejenigen, die überführt, das heißt, verurteilt und schuldig erklärt wurden. Sehen Sie es? Ja, [da ist] Donald Trump.
Bezüglich der Migration tun die so prätentiös genannten Nationalstaaten – auf eigene Initiative und in folgender Übereinstimmung mit der US-amerikanischen Polizei-Positionierung – dasselbe. Südlich der USA hat Mexiko eine kriminelle Einrichtung gegen die Migration, die aus Zentralamerika und via Zentralamerika aus anderen Ländern kommt, gesetzt. Das [mexikanische] Nationale Institut der Migration ist mit seiner Illegalität, Brutalität, Willkür und Gewalt eine Nachbildung der US-amerikanischen Border Patrol und ICE. Der Rassismus in der Gesellschaft steht dem nicht nach. Na klar, mit seinen je eigenen Unterschieden. In den USA werden die Migrant*innen geprügelt, eingesperrt und deportiert. In Mexiko werden sie an die meistbietenden Kartelle verkauft, werden erpresst, eingesperrt, verschwunden gemacht, ermordet … und lebendig verbrannt.
In El Salvador lässt Bukele (ausgebildet in der Kader-Schule der zur Partei gewordenen FMLN (*5)) sie einknasten und die Bedingungen, in denen sie sich befinden, im Fernsehen übertragen. Was nicht verhindert, dass er seinen Anteil vom organisierten Verbrechen erhält.
Diese Geschichte wiederholt sich im Rest der Länder, die in solch verdüsterten Farben ihre Grundlage und Historie haben. Im progressistischen (*6) Chile (ha!) und im Argentinien Mileis wird der Pueblo Mapuche seit Jahrhunderten bedrängt (obzwar er zehn-, hundert-, tausendmal als Sieger hervorging). Im progressistischen Brasilien findet im Amazonas ein »stiller« Ethnozid statt. Geographien wie Ecuador, Bolivien, Peru und Kolumbien unterdrücken soviel sie können die Proteste und Rebellionen der [Pueblos] Originarios, welche die Farbe der Erde haben.
Jedoch, in den Schaufenstern des Progressismus (der sich paradoxerweise dafür einsetzt, die Vergangenheit zurückzufordern) stellen manchmal einige »indigene« Mannequins ihre Festkleidung aus und streben danach, dass ihre Farbe in den obersten Etagen der Pyramide – als Dienerschaft – toleriert wird. Das heißt, als Zierrat eines Modeschmucks, billig und ersetzbar.
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Die Nationalstaaten entstehen aus der Enteignung von [materiellen] Reichtümern. Jedoch nicht nur daraus sondern auch aus dem Raub von Identitäten, Unterschieden, Besonderheiten. Der Staat-Nation zwingt – mittels des Mythos von der Bürgerschaft – Homogenität auf und hegemonisiert. Fahne, Wappen, Hymne, Armee, nationale Sportteams, Geschichte und offizielle Sprachen, Währung, Rechtsstruktur und Rechtspflege: All das trägt dazu bei, mittels gewalttätigen Zwangs, die Unterschiede von Hautfarbe, Ethnie, Sprache, Gender – und aufgepasst! – von sozialer Position, Geschichte und Kultur zu verdrängen.
Der*die Schwarze, Braune, Gelbe, Rote; Weiße ist Bürger*in. Dies ist auch der*die Kleine, Große, der*die Dicke, Dünne; Frau, Mann, die*der Andere* – loa otroa; Mestize und Indígena; Chef und Angestellte*r; Reiche*r und Arme*r. In diesem Sinne ist der Pueblo Originario, der seines Landgebietes enteignet wird, demjenigen, der den Räumungsbefehl umsetzt, wie auch dem »indigenen« Funktionär, der diesen Raub genehmigte, gleichgestellt. Die Frau, Opfer der Gewalt, ist dem Macho, der sie verschwunden macht, ermordet, angreift, gleichgestellt; ebenso die Trans-Person dem Polizisten, der in Ausübung seiner Pflicht »das Maß überschreitet« sowie die Angestellte einer Cafeteria mit Carlos Slim. Und so weiter.
Diese »[Staats-]Bürgerschaften« stützen sich auf eine Nationalität, welche wiederum die Argumente für Genozide, Verbrechen jeglichen Umfangs sowie Kriege behauptet … um die Entbehrlichen zu eliminieren.
Wenn es oben, an der Spitze der Pyramide, unterschiedliche Farben gibt, wie auch unten, an der Basis, dem Fundament, welches über seinen Herzen das Gewicht des Reichtums derer von oben trägt: Was ist somit dann der Unterschied? Der Ort innerhalb der Pyramide.
Diejenigen an der Basis dieser Struktur – mit all ihren Unterschieden, Besonderheiten, Farben – haben gemeinsam, dass sie Entwertete, Wegwurf sind. Und aus demselben Grunde sind Kriege (in allen ihren Formen) dazu da, sie [die Entwerteten] loszuwerden.
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In allen Winkeln des Planeten, einschließlich der weit abgelegensten, gibt es eine mittlere oder große oder kleine Pyramide. Sie denkt sich ewigwährend, mächtig und unzerstörbar.
Bis eine*r sagt: »Nicht weiter so«, und zum organisierten Kollektiv wird und die Pyramide stürzt mit dem Schrei: Zur Hölle mit der Pyramide!
¡A la chingada el pirámide! اللعنة على الهرم jebem ti piramidu γαμώ την πυραμίδα Fuck the pyramid scheiß auf die Pyramide fanculo la pirámide putain la pyramide merda á pirámide мамка му, пирамидата 屌個金字塔 a la xingada la pirámide ser*u na pyramidu 他妈的金字塔 피라미드 엿먹어 kneppe pyramiden do kelu pyramídu kurat püramiidist vittu pyramidi joder pe pirámide rehe לעזאזל עם הפירמידה |
neuk de pirámide baszd meg a piramis tada leis an pirimid fokkið við pýramídanum ピラミッドなんてクソくらえ pîramîdê qelandin Pyramidem in malam rem! Ssexsi lpiramid xijtlasojtla nopa pirámide knulle pyramiden لعنت به هرم pieprzyć piramidę foda-se a pirámide pirámide nisqawan joder la dracu’ cu piramida к черту пирамиду је*и пирамиду knulla pyramiden piramiti siktir et до біса піраміду piramideari madarikatua shaya iphiramidi |
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Jedoch, schaffen wir stattdessen eine neue Pyramide?
Oder etwas ganz anderes?
Vielleicht wird sich in einem Treffen von einigen Teilen des Ganzen eine Antwort andeuten.
Aus den Bergen des Südosten Mexikos.
Der Capitán.
Juni 2025.
Anmerkungen der_die Übersetzer_in:
(1) Im Original steht razas ohne Anführungszeichen. Der_die Übersetzer_in hat sich entschieden, den übersetzten Begriff hier in Anführungszeichen zu setzen, um von vornherein den Leser*innen zu markieren, dass es im folgenden Text u.a. um eine kritische Beschreibung und Auseinandersetzung mit rassistischen Konstruktionen und Praktiken geht. Raza kann jedoch im mexikanischen Kontext – komplett anders als im deutschen – auch eine andere, auch positive Konnation tragen (im Sinne von: Bevölkerung/Leute; Gruppe/Gemeinschaft; im Zusammenhang von Sprache, Kultur, Geschichte, kollektives Selbstverständnis, Lebens- und Produktionsweise u.a.).
(2) – gringo: populäre despektierliche Bezeichnung für US-amerikanisch/ US-Amerikaner*in
– ICE: Immigration and Customs Enforcement: größte Polizei- und Zollbehörde des US-Ministeriums für Innere Sicherheit
(3) Februar 1995: Während die EZLN mit der mexikanischen Regierungen in direkten Verhandlungen war, wurde von dieser als überraschenden Coup Haftbefehle gegen die politisch-militärische Leitung der EZLN ausgestellt, es wurden mexikoweit Compañer@s verhaftet. Gleichzeitig drang die Armee gewaltsam in die zapatistischen Gemeinden ein und besetzte sie, und versuchte so, der Comandancia habhaft zu werden, um sie zu ermorden. Ernesto Zedillo Ponce de León war damaliger Präsident Mexikos und verantwortlich dafür.
(4) Pozol: Sämiges Getränk aus gemahlenen Mais, Wasser und ein wenig Salz; sehr sättigend und nahrhaft.
(5) FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional): war in den 80er Jahren ein gesellschaftlich breit gefasstes Guerrilla-Bündnis, welches ab 1992 zur politischen Macht-Partei mutierte.
(6) progressistisch/ Progressismus: kommt am ehesten der neoliberalen Politik einer sozialdemokratischen Partei nahe; in Mexiko wären deren Vertreter u.a. die Morena-Partei mit der aktuellen mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum; in Chile: die Regierung von Gabriel Boric; in Brasilien: die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva (»Lula«).
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