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Palabra del Ejército Zapatista de Liberación Nacional

Oct162024

Zum Thema: Der Sturm und der Tag Danach. Nachwort. Vierter Teil: Zwischen der Bezahlung und der Vorstellungskraft

Zum Thema: Der Sturm und der Tag Danach.

Nachwort.

Vierter Teil: Zwischen der Bezahlung und der Vorstellungskraft

d) Sie gehören einer Theatergruppe an. Nun, gehörten. Nichts bleibt mehr von den brillanten Improvisationen, den mühsamen Proben, den Korrekturen an Haltung, Aussprache und Intonation, den Auseinandersetzungen wegen der Kostüme, den „schauspielerinternen“ Konflikten („Hey Luis, mir gefällt diese Rede nicht, in meiner Rolle als Statue sollte ich wortgewandter sein“), den aufwändigen Bühnenbildern, den Streitereien um das Budget, den anzupassenden Räumlichkeiten, der Werbung, den Eintrittskarten. Und da sind auch keine Erwartungen mehr auf eine Rolle in diesem Film, dieser Seifenoper, dieser Serie, dieser Show.

Andererseits hatten Sie den Ausgang des Sturms bereits vorausgeahnt. Als Sie in verschiedenen Ecken der Welt waren und versuchten, ein kindliches Lächeln hervorzuzaubern, wo es nur schmerzverzerrte Grimassen und angstleere Blicke gab. Den verstümmelten Baum der palästinensischen Kindheit, die zynische Gleichgültigkeit einer vom Kult der Banalität übersatten „Zivilisation“, die bescheidenen Hütten der ursprünglichen Bewohner:innen in dem langen Vergessen, das sich Lateinamerika nennt. Sie waren auch Fahrer, mit der Kollegin Fahrerin – „das ist dasselbe“, würde das zapatistische Mädchen sagen, dem nicht biologische Geschlechter, sondern die Essenz eines jeden Wesens wichtig ist –, damals, als ein kleiner Berg gegen den Lauf der Geschichte segelte, so als gehe es darum, etwas zu entgegnen. Ihre Passagiere wiederholten die Warnung und wiesen auf das bevorstehende Verfallsdatum eines verrückt gewordenen Systems hin. Der Höhepunkt der Tragödie, die Welt, wie Sie sie kannten, bricht mit einem dumpfen Wimmern zusammen, weil in keinem sozialen Netzwerk davor gewarnt wurde. Sie könnten fast sagen, Sie hätten es erwartet.

Das ist jetzt vorbei. Sie sind nun schon seit einigen Tagen in dieser Gemeinde und haben als durchschnittlich intelligenter Mensch verstanden, dass die hier versammelten Menschen die Geschichte vom „Kleinen Malcolm und seinem Kampf gegen die Eunuchen“ nicht wiederholen wollen.

Gleich sind Sie an der Reihe. Die ehemaligen Mitglieder der Gruppe haben sich einen gemeinsamen Platz gesucht, so wie sich Menschen bei einem Unglück zusammenfinden. Warum gehen Ihnen die Dialoge aus „Der gute Mensch von Sezuan“ nicht aus dem Kopf? Vielleicht, weil all das daran erinnert: die Herausforderung, ein besserer Mensch zu sein und gut zu sein, besser zu leben, ohne die Ehrlichkeit als menschlichen Wert aufzugeben. Es bleiben nur noch zwei Personen, bevor Sie an der Reihe sind. Schnell rechnen Sie nach. Diejenigen, die die Rollen spielen können, sind da: Shen Te – Shui Ta, und Sie vertrauen darauf, dass sie sich noch an die Dialoge erinnern; die Götter sind da, Wang, Sun und Shui Fa sind da. Aber was ist mit den Kulissen? Wie? Womit? Wo? Jetzt sind Sie an der Reihe. Da wird Ihrer Gruppe und Ihnen klar, dass Sie vor der größten Herausforderung in Ihrem Beruf stehen: Mit Ihrem Schauspiel müssen Sie erreichen, dass sich das Publikum die Szenerie vorstellen kann. „Dies ist die Geschichte einer Frau, die auch ein Mann war, der auch eine Frau war und so weiter“, beginnen Sie und stellen sich dabei in die Mitte des Basketballplatzes.

Am Ende hat niemand geklatscht. Es gab keine Interviews, kein Blitzlichtgewitter, keine Autogrammwünsche, keine kritischen Rezensionen in der Fachpresse. Auch kein Klatschen und Lachen zur Solidarität mit einer dargestellten Geschichte. Denn jetzt spüren Sie, dass diese Solidarität Ihnen gilt, wie ein Gemurmel unter den Zuschauern in einer unverständlichen Sprache. Und jetzt verstehen Sie: Opfer sind erst dann keine Opfer mehr, wenn sie durch die Kraft von Widerstand und Rebellion überleben. Erst dann können sie neu beginnen.

Haben Sie es gut oder schlecht gemacht? Sie wissen es nicht, aber die Vorstellungsrunde geht weiter. Am nächsten Tag hören Sie im Speiseraum der Gemeinde namens „En Común Come Comida Común“ [1], wie eine Frau zu einer anderen sagt: „Das Problem ist, dass die Theaterleute dem Mädchen eine Bezahlung gegeben haben. Wenn nicht, wäre das eine andere Sache“‚ „Oder ein anderer Fall, je nachdem“, antwortet ihre Begleiterin. „Die Bezahlung“, überlegen Sie nun … „Natürlich“, sagen Sie zu sich selbst, „Bertolt ahnte den Zweiten Weltkrieg und seinen Schrecken voraus und wies damit auf das Dilemma hin, das durch Geld, – la paga, die Bezahlung, wie man hier sagt –, verursacht wird“. Sie gehen zu Ihrer Gruppe, die schweigend isst, weil sie auch nicht weiß, ob sie gut oder schlecht abgeschnitten hat, und setzen sich. Sie stellen Ihren Teller ab, blicken die anderen an und sagen: „Das Problem ist die Bezahlung“. Alle starren Sie an. „Wir müssen uns eine andere Welt vorstellen“, fahren Sie fort. Als Sie mit dem Essen fertig sind und sich anstellen, um Ihren Teller abzuwaschen, murmeln Sie: „Wir müssen uns den Tag danach vorstellen“.

Als am nächsten Tag in der Versammlung die Liste durchgegangen wird, hören sie „Theaterleute“ und gleichzeitig, wie nach hunderten von Proben, antworten sie „anwesend“. Sie sitzen da und schauen einander zufrieden an. Was sich allerdings ändert, als sie hören: „Eure Aufgabe ist es, die Bretter für das Auditorium zu besorgen“.

Beim Tragen der Bretter denken alle: „Auditorium … Bühne … Kulisse … Theater!“ Auch wenn sie jetzt verstehen, dass sie keinen eigenen Raum mehr brauchen. Für die Kunst reicht immer ein kollektives Herz. Sie sagen es nicht laut, aber zu sich selbst: „Das Problem ist nicht mehr die Bezahlung, wir müssen nicht mehr auf Godot warten“.

-*-

e) Sie waren früher Schriftstellerin, Schriftsteller oder Schriftsteller:in. Sie wissen schon: Gedichte, Kurzgeschichten, der eine oder andere Roman. Das war nicht einfach. Stipendien? Bah, die waren immer für diejenigen, die gute Beziehungen hatten … und mit Beständigkeit und Sicherheit schmeicheln konnten. Im Speisesaal namens „Atásquense que hay lodo“ [2] haben Sie gehört, wie die Theaterleute sagten: „Das Problem ist die Bezahlung“. Oder war es im „Jetzt oder nie“? Sie erinnern sich an den Vortrag, den Sie einmal an einer Universität gehalten haben. „Wer schreibt, erzählt Geschichten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger“, das waren Ihre einleitenden Worte. All das ist jetzt vorbei. Paradoxerweise haben Sie noch am Tag zuvor Bob Dylan gehört, wie er prophezeite: „How does it feel / how does it feel / To be on your own, / with no direction home / A complete unknown, / like a rolling stone“.

Jetzt bringen Sie mit ihrer Fußspitze einen Kieselstein ins Rollen. Kein langes Alleinsein mehr, das Halbdunkel, Ihre Bibliothek, der Arbeitstisch oder Schreibtisch, der Computer, die Geister, die Dutzenden Entwürfe, die Festplatte voller unausgesprochener Wörter, die Suche nach einem Verlag: „Oh, nein, junger Mann. Literatur ist aus der Mode gekommen. Heute sind interaktive Geschichten gefragt, Erzählungen mit so wenig Charakteren wie möglich. Etwas Leichtes also, damit man nicht viel nachdenken muss. Aber kommen Sie ein andermal wieder. Sie wissen ja, die Welt ist rund und sie dreht sich.“

Aber die Welt existiert nicht mehr, zumindest nicht IHRE Welt. Sie sind an der Reihe. Sie atmen ein und stehen auf. Sie beginnen: „Ich werde euch eine Geschichte erzählen“. Und ohne es auch nur zu merken, weben Sie eine Geschichte aus Geschichten, die Sie, während Sie in die Gesichter der Anwesenden schauen, Ihrer Fantasie entreißen. Dutzende von Geschichten, die zu einer einzigen zusammengestickt werden. So wie in der Stickerei von der „Hydra“, die Sie in einem Museum in den Madrids gesehen haben im Spanien „des spöttischen Geistes und der stillen Seele“, dem „Spanien der Wut und der Idee“, als Sie danach die Band Open Arms begleiteten, die in einer Taverne in Andalusien (zwischen Tapas, Klatschen und Flamencorhythmen, mit dem Cante Jondo [3] und Federico [4], der Erde ein „Wach auf! zurief, und beschlossen, die Bezahlung für ein Boot zur Rettung schiffbrüchiger Migrant:innen einzusetzen.

Vielleicht ahnten sie damals, dass der Tag kommen würde, an dem alle Schiffbruch erleiden würden bei dem Versuch, aus einer kaputten, von Trümmern und Albträumen bevölkerten Welt zu fliehen und jemanden zu finden, der sie mit offenen Armen aufnimmt, damit auf diese Weise ein Neuanfang versucht werden kann …

Die Stille regiert und befiehlt und nur Ihre Stimme ist zu hören. Selbst die Grillen, die immer widerspenstig sind, schweigen.

Am nächsten Tag hören Sie im Speisesaal „Corre porque te Alcanzo“ [5], wie ein alter Mann sagt: „Die Geschichte hat mir gefallen, weil ich da jünger war“. Eine ältere Frau: „Und ich, weil ich da hübsch war“, und kokett fügt sie hinzu: „Na ja, hübscher“. An einem anderen Tisch zwei junge Leute: „Was ich nicht verstehe, ist, was dieser Hund in der Geschichte zu suchen hatte“; der andere „Das war doch kein Hund, das war ganz klar eine Katze“; „Gar nicht, der hat doch sogar gebellt“; „Der hat doch nicht gebellt, ich habe deutlich ein Miauen gehört“. Als später in der Versammlung „Contador“ [6] gesagt wird, schauen alle zu Ihnen und Sie verstehen, stehen auf und sagen: „Anwesend“.

In Ihrem Inneren denken Sie bei sich: „Meine Großmutter hat es immer gesagt: Kindchen, du bist gut im Rechnen, wenn du groß bist, wirst du Contadora“. Ihr Lächeln gefriert, als Sie hören: „Deine Aufgabe ist es, Doña Juanita in der Küche zu helfen.“

Sie machen sich auf den Weg in die Küche, als Ihnen ein kleines Mädchen (vielleicht 5-6 Jahre alt) über den Weg läuft, das ohne Umschweife sagt: „Hey, Contador, erzähl mir eine Geschichte darüber, dass ich schon Fahrrad fahren kann. Ich mag es nämlich nicht, dass ich immer umfalle“. Das Mädchen zeigt Ihnen sein Knie, damit Sie seine Schramme bewundern können, die noch mit Blut und Staub bedeckt ist. Sie fragen höflich: „Tut es sehr weh?“ Das Mädchen stemmt die Arme in die Hüften und sagt: „Nicht so sehr, das brauchst du gar nicht zu denken, viel mehr schmerzt der Spott der verdammten Männer, die nur angeben, aber auch hinfallen, das habe ich neulich gesehen. Da ist der Pedrito hingefallen, aber sein Kopf ist im Schlamm gelandet, also hat er sich nur gewaschen, der Bösewicht, und dann macht er sich über mich lustig. Aber ich bin in den Schotter gestürzt. Denn mit dem Fahrrad auf Schotter fahren, das können nicht alle.“

In diesem Moment kommt ein Compa vorbei und sagt zu Ihnen: „Hör mal, ContadoraBuchhalterin, wenn der Capitán kommt und dir sagt, du sollst eine Mahlzeit namens ‚Marcos Special‘ zubereiten, hör nicht auf ihn. Die ganze Welt wird dir dafür dankbar sein.“

Sie sind durchschnittlich intelligent, also verstehen Sie zwei Dinge: dass das Gericht des Capitán an keinem Tisch willkommen ist und dass die Welt jetzt diese kleine Gemeinde auf der Suche nach ihrem Schicksal ist. Eine Gruppe von Überlebenden des Sturms, die als Individuen und als Kollektiv versuchen, voranzukommen, also neu anzufangen, ohne die gleichen Fehler zu wiederholen … am Tag danach.

Fortsetzung folgt…

Vom Vortag.

Der Capitán.
Oktober 2024.

Aufruf zu den Internationalen Treffen der Rebellionen und des Widerstands 2024-2025. Thema: Der Sturm und der Tag danach.

 

Anm. d. Übers.:

[1] etwa: Gemeinsames Essen gemeinsam essen.

[2] etwa: Steckenbleiben, hier ist Schlamm. Redewendung, die besagt, dass man nicht missbrauchen soll, nur weil man es kann. Wird oft für Menschen verwendet, die missbräuchlich mit dem Geld anderer Leute umgehen.

[3] Cante jondo: eine Ausrichtung des Flamenco.

[4] Federico García Lorca (1898-1936: spanischer Lyriker und Dramatiker, dessen Werke in der spanischen Musik häufig verwendet werden, insbesondere im Flamenco.

[5] etwa: Lauf, ich krieg‘ dich.

[6] Buchhalter, aber auch Erzähler (von Spanisch: contar – erzählen / zählen)

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