TANZ‘ EINEN WAL
COMISIÓN SEXTA DES EZLN.
MEXIKO.
Dezember 2019.
An den Congreso Nacional Indígena – Indigener Regierungsrat,
an die Personen, Gruppen, Kollektive und Organisationen der Sexta Nacional und Internacional,
an die Netzwerke des Widerstands und der Rebellion,
an diejenigen, denen der Tanz gefällt,
IN ERWÄGUNG DES
Ersten und Letzten:
TANZ‘ EINEN WAL.
Die illuminierten Berge. Das Echo des Kinos – nicht das eines Films sondern des Kinos als Comunidad, als Gemeinschaft – lässt sich immer noch hören zwischen den Ocote-Fackeln, dem sehnsüchtigen Blau des Pferdes, Tulan Kaw, der blinkenden Leuchtschrift »Willkommen« und dem herausfordernden Licht des Wortes »ZAPATISTAS« (1).
Sie haben versucht, hier wegzukommen – jedoch unerklärlicherweise können Sie es nicht… oder wollen Sie es nicht. In der hier immer kalten Nacht streifen Sie auf der Ebene des Platzes herum, wo Ihnen Stunden zuvor der sich schlängelnde Weg der (Kunst-)Installationen Erinnerungen an dörfliche Jahrmärkte brachte – weit zurück in Kalender und Geographie.
Ihr Blick hält inne bei den rätselhaften Plakaten »II. Internationales Treffen der Frauen, die kämpfen«; »Forum in Verteidigung der Madre Tierra (2)«; »26. Geburtstag«; »Erstes Festival des Tanzes: Tanz‘ dir eine andere Welt«. Ein Windstoß bring die großen Schilder in Bewegung.
Lässt sich die Luft tanzen?
Der Tanz – scheinbar so weit entfernt von allem – kann er mit bloßen Bewegungen einen Traum beschreiben?
Ja, vielleicht fiebern Sie. Vielleicht wegen der Kälte oder diesem unehrerbietigen roten Stern, der oben auf dem Hügel glänzt.
In diesem Zustand befinden Sie sich gerade, als das Mädchen und seine Bande auftaucht und Sie umzingelt mit ihrem enthusiastischen Geschrei. »Es wird Tanz geben!«, rufen sie und springen umher. Nun gut, dass Mädchen, welches La Calamidad, der Pechvogel (3) genannt wird, hebt nur ein wenig die Fersen an – aber ihre Freude ist der der anderen ähnlich. Die Sache mit dem Tanz entzückt jedoch den Pedrito – den Skeptiker der Kinderbande – nicht so sehr; und er lässt wissen: »Immerzu gibt es Tanz; wozu dann die ganze Aufregung…« Defensa Zapatista (4) verpasst ihm als erste pädagogische Maßnahme daraufhin einen Schlag und fährt fort mit: »Ja, es wird Tanz geben – jedoch von einer Wolke herabhängend. Also nicht irgendein Getanze« – und macht dabei die perfekte Bewegung eines Rond de jambe par terre en dehors (5). Der Gato-Perro (6) will da nicht zurückstehen, und schließt sich offensichtlich mit einem Pas de chat (7) an. »Ja, es wird Tanz geben!«, wiederholen die anderen Mädchen – jedoch nicht im Chor, denn dafür sind sie doch zu verschieden.
Eine Insurgenta (8) (die Sie an ihrer Uniform erkennen können) läuft hinzu und ruft: »Calamidad, komm‘ schnell! Sie werden den Wal tanzen!« Calamidad saust – was nicht gerade schnell ist, sagen wir es mal so – den leichten Abhang hinunter zum Inneren des hölzernen Wals – der noch immer ruht … oder sich erholt von den Wunden, die verursacht wurden durch Harpunen, Lügen und Vergessen. Defensa Zapatista, den Gato-Perro im Arm, folgt ihr.
Esperanza Zapatista (9) diskutiert weiterhin mit Pedrito, der nicht nur aufzeigt, einen Wal zu tanzen, sondern auch der Aufenthalt eines Meeressäugetiers (so nennt er es) in Mitten der Berge des Südosten Mexikos sei unmöglich. Sie selbst bekommen zwar nicht das Ende der Diskussion mit, vermuten jedoch deren Ausgang: Esperanza, obwohl sie Pedrito nur bis zur Hüfte reicht, pflegt jegliche Diskussion zu beenden – mit einem: »Männer… Sie können nicht über ihre Nasenspitze hinaus sehen… Was für Doof-Nasen.«
Sie haben sich entschieden, Defensa Zapatista, dem Gato-Perro und Calamidad zu folgen. Hinterher zockeln Esperanza Zapatista und ein murrender, weil hungiger Pedrito.
Sie betreten das jetzt fast leere Innere des gigantischen Tieres. Eine Tänzer-Gruppe probt. Frauen, Andere und Männer überqueren die Bühne, die – ihrer Bestimmung widersprechend – nicht höher sondern tiefer liegt als das Parkett. Sie setzen sich und richten Ihre Aufmerksamkeit mehr auf die Reaktion der (Kinder-)Bande als auf die Übungen und versuchten Schritte (der Tanzenden). Calamidad – ganz inspiriert – ist auf eine der Sitz-Bänke gestiegen und versucht einen Échappé simple (10). Beim Fallen auf eines der Holzbretter gibt dieses nach (na selbstverständlich: das Holzbrett (11)). »Calamidad!«, schreit Defensa Zapatista. Jedoch steigt jene bereits auf eine weitere Bank und wiederholt ihre Ballett-Übung… und das Holz bricht. Nach der fünften zerbrochenen Sitz-Bank versucht ein Trupp Milicianas (12) vergeblich, Calamidad zurückzuhalten – die dabei ist zum wiederholten Male, das Gesetz der Schwerkraft … und der Logik… herauszufordern.
Der Tumult, der jetzt ausbricht – Calamidad, die von einer Bank zur nächsten springt, mit einer Behändigkeit jenseits ihrer körperlichen Grenzen; die Milicianas im Versuch, sie einzukreisen und zu überwältigen; der Gato-Perro, der währenddessen die Milicianas beißt; Defensa Zapatista, die versucht, ihn aufzuhalten; Esperanza, die ihr Handy nimmt, um den ganzen Aufruhr zu filmen; Pedrito, der alle daran erinnert, es wäre vielleicht besser, etwas zu essen – scheint nicht im geringsten diejenigen zu stören, die – weil es an Musik fehlt – von einem Wind hin und her bewegt werden, der nur in ihren Herzen flüstert.
Lässt sich ein verwundeter Wal tanzen?
»Ah, die Zapatistas, immer ist es so, als ob sie einen anderen Film sähen«, denken Sie für sich im Stillen. So als ob die Zaptistas sich – wenn sie von einer anderen Welt sprechen – nicht auf die gegenwärtige beziehen. So als ob sie innerhalb eines Raumschiffs ihren Blick nicht auf die Welt, die zurückbleibt, richten würden – sondern auf eine Welt, die sich an irgendeinem Ort des Universums… oder innerhalb ihrer Imagination verbirgt.
Lässt sich der Soundtrack einer neuen Welt imaginieren, der unbeugsam aus den Trümmern einer anderen Welt entsteht – die bereits unmerklich (in ihrem Gebälk) knistert und knirscht?
Somit verstehen Sie… oder glauben zu verstehen. Mit »Tanz‘ dir eine andere Welt« spricht der Zapatismus keine Herausforderung aus – sondern eine Einladung.
Unterdessen hat Calamidad – umzingelt im allerletzten Winkel des Auditoriums – den Angriff der Milicianas gestoppt. Sie hören jetzt dem Mädchen aufmerksam zu, wie es ihnen das »Spiel des (hüpfenden) Popcorn« erklärt – dabei »die Geschichte des Popcorn – Version Calamidad« erzählend.
Daraufhin spüren Sie eine leicht Erschütterung unter ihren Füßen. Da sind Zweifel. Da ist eine Bestätigung. Ja, es scheint, der Wal streckt sich und macht sich bereit, seinen Weg den Berg hinauf erneut aufzunehmen.
So als ob der Tanz – die Kunst, eine andere Welt zu tanzen – seine Verwundungen erträglicher und sein Herz leichter gemacht hätten – um Mut zu fassen, seinem absurden Unternehmen weiterhin zu folgen.
Jedoch ist das unmöglich. Oder?
-*-
Auf Grundlage des Vorherigen lädt die Comisión Sexta des EZLN – alle Männer, Frauen, Andere, Kinder und Alte der Sexta Nacional und Internacional, des Congreso Nacional Indígena (CNI), der Netzwerke des Widerstands und der Rebellion in aller Welt, und auch all diejenigen, die wollen und können – ein zum ERSTEN FESTIVAL DES TANZES…
TANZ‘ DIR EINE ANDERE WELT.
Es wird zum ersten Mal stattfinden in den beiden zapatistischen Caracoles Tulan Kaw und Jacinto Canek, in den Bergen des Südosten Mexikos – vom 16. bis 20. Dezember 2019.
Dort wird es Aufführungen des zeitgenössischen, klassischen oder neo-klassischen Tanzes geben; arabischen Tanz; Butoh; Akrobatik; Tanz-Stücke; Zirkus; Performances; Tanz mit Beteiligung (des Publikums); Seil-Tanz; afrikanischer Tanz; dark belly dance hip hop fusion; modern dancing; Hula Hoop und Feuer-Akrobatik.
Auch wird es (offene) Workshops geben zu zeitgenössischem Tanz; Körper-Ausdruck; Zauberkunst; afrikanischem Tanz; arabischem Tanz. Außerdem noch Gespräche und eine Foto-Ausstellung.
Das alles findet statt im:
.- Caracol Tulan Kaw, am 16. und 17. und 18. Dezember 2019; ab 10 Uhr
.- Caracol Jacinto Canek (innerhalb des CIDECI in San Cristóbal de Las Casas, Chiapas:
am 19. und 20. Dezember 2019
Aus den Bergen des Südosten Mexikos.
Der SupGaleano.
Mit seinem wunderschönen und wohl geformten Körper (oh ja),
der schmerzt – wegen eines versuchten Temps levé coupé (13).
Spotten Sie nicht; es gelang mir recht gut… na gut, mehr oder weniger…
ok, ok, ok, es gelang mir nicht.
Mexiko, Dezember 2019.
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Anmerkungen der_die Übersetzer_in:
(1) bezieht sich auf das zapatistische Film-Festival Puy ta Cuxlejaltic, 7. – 15. Dezember 2019, im neuen Caracol Tulan Kaw (in Tseltal; übersetzt: »Starkes Pferd«). Ocote ist eine Pinien-Art.
(2) verbleibt im Original; wörtlich übersetzt: »Mutter Erde«
(3) kann auch »Unheil, Unglück« bedeuten
(4) wörtlich: »Zapatistische Verteidigung«
(5) Ausdruck im Ballett-Tanz: kreisförmige, nach außen gerichtete Bewegung des Beines auf dem Boden
(6) verbleibt im Original; wörtlich: »Katze-Hund«
(7) Ausdruck im Ballett-Tanz: Sprung seitwärts; die Füße so hoch wie möglich und die Knie gebeugt; wörtlich übersetzt: »Katzen-Sprung«
(8) verbleibt im Original; eine Kämpferin innerhalb der Selbstverteidigungsstruktur des EZLN
(9) verbleibt im Original; wörtlich übersetzt: »Zapatistische Hoffnung«
(10) Ausdruck im Ballett-Tanz: von geschlossener in offene Position; mit gebeugtem Knie aus dem Stand hin zum Dreh-Sprung
(11) bezieht sich auf das zapatistische: »Luchar sin rendirse, sin venderse ni claudicar« (»Kämpfen ohne aufzugeben, ohne sich zu verkaufen, ohne nachzulassen.«)
(12) verbleibt im Original; Mitgliederinnen der zapatistischen Selbstverteidigungsstruktur; leben im Gegensatz zu den Insurgentas nicht »in den Bergen« sondern in ihren Dörfern.
(13) Ausdruck im Ballett-Tanz: »gesprungener, schwebender Takt«; Sprung von einem Bein auf dasselbe Bein; das zweite Bein bleibt während des Sprungs am Fußgelenk angewinkelt.
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