Lektionen globalisierter Geografien und Kalendar.
14. April 2017
„Nichts hat sich verändert“, sagen sie.
„In Chiapas geht es den Indígenas genauso oder schlechter als vor der zapatistischen Erhebung“, wiederholen die Profitmedien, jede wie es ihr Aufseher ihnen vorgibt.
Vor 23 Jahren kam „humanitäre Hilfe“ aus verschiedenen Teilen der Erde. Wir, die zapatistischen Indígenas verstanden dann, dass es keine Almosen waren, was sie uns schickten, sondern Unterstützung für den Widerstand und die Rebellion. Anstatt alles zu verschlingen oder zu verkaufen, wie es die Partidistas [Anmk.: Anhänger*innen einer offiziellen politischen Partei] tun, haben wir mit dieser Hilfe Schulen, Krankenhäuser, Projekte für die Selbstverwaltung errichtet. Stück für Stück und nicht ohne Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, errichteten wir die materielle Basis für unsere Freiheit.
Gestern haben wir den Subcomandante Insurgente Moisés uns sagen hören, dass die zapatistischen Indígenagemeinden sich organisiert haben, nicht um Hilfe zu erbeten, sondern um anderen Menschen zu helfen, in einem anderen Land, mit anderer Sprache und Kultur, mit anderen Gesichtern, mit anderer Art, damit sie Widerstand leisten. Er hat uns von dem folgenden Prozess erzählt, um es zu erfüllen. Jede*r die/der seine Worte gehört hat, kann sagen, und sie/er würde sich nicht irren, dass das, was man in diesem langen Weg, von der Kaffeepflanze bis zu diesen Kilos verpackten Kaffees, sieht, eine Konstante ist: Organisierung.
Aber kehren wir zurück zu 1994-1996.
So wie Frauen, Männer und otroas [Anmk.: zapatistische Form des genderns für ´Andere*`] aus verschiedenen Winkeln Mexikos und der Erde kamen, verstanden wir Zapatistas, dass es, in diesem Kalender, keine spezielle Geografie war, die uns die Hand und das Herz reicht.
Es war nicht die europäische Überheblichkeit, die mit den armen kleinen Indios [im Original inditos] Mitleid hatte, die sie, vergebens, Jahrhunderte zuvor ausrotten wollte.
Es war das Europa von unten, das rebellische, das, welches, ungeachtet seiner Größe, Tag für Tag kämpft. Jenes, dass uns sagte, mit seiner Hilfe, „gebt nicht auf“.
Es war nicht der aufgebrachte und brutale Norden der Regierung und Macht, versteckt hinter der Fahne mit den Querstreifen und undurchsichtigen Sternen, der, der Menschlichkeit simulierend, Brosamen schickt.
Es war die Latino- und Anglo-Gemeinschaft, die ihre Kultur und Art verteidigt, die Widerstand leistet und kämpft, die sich nicht von der Droge des „Amerikanischen Traums“ verdummen lässt, die uns unterstützte während sie murmelte „verkauft euch nicht“.
Es war nicht das Mexiko der Parteien, das der Nomenklatur aller Niederlagen – umgewandelt in Positionen und Ämter für die Führenden und Vergessen für die Basis – die versucht hat doppelt abzukassieren: das Blut der Toten einfordern und uns dann die Brosamen, die sie uns bringen wollten, abkassieren.
Es war das Mexiko von untern, das sich organisiert gleich, ob es viele oder wenige sind, ob sie in den Nachrichten erscheinen oder nicht, ob sie die Profitmedien interviewen oder nicht; das, welches seine Toten, seine Gefangenen, seine Verschwundenen nicht wie ein Bedauern trägt, sondern als eine Verpflichtung. Dieses Mexiko war es, das etwas von dem Wenigen nahm, das es hatte, um es uns zu geben, während sein Blick uns befahl: „gebt nicht auf“.
Auch aus Afrika, Asien und Ozeanien kam der Atem und die Hoffnung uns zuflüsternd: „leistet Widerstand“.
Und seit diesen ersten Jahren, verstehen wir Zapatistas, dass sie uns keine Hilfe gaben, sondern eine Verpflichtung, und seit jenem Kalender haben wir uns gestärkt um sie einzulösen.
Obwohl alles gegen uns, verfolgt von der Armee und Paramilitärs, diffamiert durch die Profitmedien, vergessen von allen die entdeckt haben, dass sie aus unserem Schmerz keinen Vorteil ziehen, bestanden wir trotzdem darauf diese Pflicht zu würdigen, immer und überall, nicht ohne Fehler und Irrtümer, nicht ohne Stolpern und Stürzen, nicht ohne Tode.
Dieser Mann, diese Frau, diese*r Andere*, die/der in anderen Winkeln des Planeten kämpft, kann nun sagen, dass sie/er an unserer Seite gekämpft hat. Und ohne Verlegenheit kann sie/er uns die Fehler und Stockungen lassen, und, mit Recht, sich unsere Erfolge zueigen machen, die, obwohl klein, es Wert sind.
Dank all dieser Menschen, die compas waren und sind, vielleicht ohne es zu wissen, sind wir nicht mehr die gleichen wie vor 23 Jahren.
Vor zwei Dekaden, schloss jede/jeder unserer compañeros und compañeras die sprachen, ihre Worte unverändert damit sich für ihr Spanisch zu entschuldigen.
Heute, ohne ihre Muttersprache zu vergessen, korrigieren jede unserer Jugendlichen liebevoll die Prosodie und Orthografie von mehr als eine*r Akademiker*in.
Vor zwei Dekaden war die EZLN Organisierung, Vorbild und Befehl der Indígenagemeinden. Heute sind sie es, die befehlen, und wir diejenigen, die gehorchen.
Früher dirigierten und befehligten wir sie, jetzt ist es unsere Arbeit zu schauen, wie wir ihre Entscheidungen unterstützen.
Früher sind wir vorausgegangen, die Richtung und das Ziel vorgebend. Heute gehen wir hinter unseren Pueblos [Anmk.: meint zumeist Dörfer, zapatistisch organisiert], nicht selten ihnen hinterherrennend, um mit ihnen mitzuhalten.
Wir sind in den Hintergrund getreten. Er wird jene geben, die denken, dass dies ein Versagen ist.
Für uns ist es die gute Abrechnung, die wir unseren Toten geben können. Wie dem SupPedro, wie der compañera Malena, welche gerade erst vor einigen Tagen verstorben ist, und von der wir noch nicht sprechen können ohne, dass der Schmerz uns die Hände verkrampft und sich die Worte und der Blick befeuchten.
So groß war sie für uns Zapatistas.
Wir sind zu diesen Tagen und diesem Treffen mit ihrem Tod über den Schultern gekommen und, obwohl nicht ausdrücklich, hat ihre Stimme die unsere eingenommen.
Für einige Tagen wollten wir eine Ehrenschuld begleichen mit jenen, die uns heute fehlen. Wir wollten zu unseren Worten machen, die wir uns als ihre vorstellten, wenn sie hier gewesen wären, an unserer Seite, wie sie es ihr ganzen Leben waren.
Aber nun müssen wir weiter machen, und alle wissen lassen, dass unsere Gemeinden, unsere Dörfer entschieden haben, dass es der Moment ist, jene, die unserer Fahne und unserer Art glaubten und vertrauten, zu erinnern, dass wir hier sind, dass wir Widerstand leisten, dass wir uns nicht ergeben, dass wir uns nicht verkaufen, dass wir nicht aufgeben.
Wir wollen, dass sie wissen, dass sie jetzt auf uns zählen können, auf die zapatistischen Gemeinden. Dass trotzdem es wenig ist, und aus der Entfernung, wir sie unterstützen.
Und auch unsere Unterstützung wird keine Almose sein. Auch sie wird eine Verpflichtung für sie, für Sie sein.
Denn wir hoffen, dass Sie bis zum Letzten Widerstand leisten. Wir hoffen, dass Sie sich nicht ergeben, dass Sie sich nicht verkaufen, dass Sie nicht aufgeben.
Wir hoffen, dass Sie auch in den Momenten, wenn Sie sich am einsamsten, am besiegtesten, am vergessensten fühlen, in ihrem Schmerz und ihrer Angst zumindest eine Gewissheit haben: die, dass es jemanden gibt, auch wenn er weit weg und von der Farbe der Erde ist, der ihnen sagt, dass Sie nicht alleine sind. Dass ihr Schmerz uns nicht fremd ist. Dass ihr Kampf, ihr Widerstand, ihre Rebellion auch unsere ist.
Wir helfen ihnen wie es unsere Art ist, das heißt, eine organisierte Unterstützung.
Und Sie sollen wissen und klar haben, dass in dieser Hilfe unsere Zuneigung, unsere Bewunderung, unser Respekt enthalten ist.
Die Verpackung verrät es nicht, aber darin ist die Arbeit der zapatistischen Männer, Frauen, Kinder und Alten enthalten.
Denn bereits vor mehreren Jahren haben wir verstanden, dass unsere Sehnsucht nicht lokal ist, noch national, sie ist international.
Wir haben verstanden, dass für unser Bestreben die Grenzen hinderlich sind. Dass unser Kampf global ist. Dass er es immer war, aber, dass sie es nicht wussten, die uns geboren haben und es ging soweit, bis das indigene Blut das Steuer sowie den Motor übernahm und die Richtung vorgab, bis wir entdeckten, dass der Schmerz, die Wut und die Rebellion keinen Reisepass haben und, dass sie illegal für das Oben, aber Schwestern für das Unten sind.
Heute können wir “compañero”, “compañera”, “compañeroa” zu jede*n sagen, die/der Widerstand leistet, rebelliert und kämpft in jedweden Teil des Planeten.
Dies ist die neue Geografie, die in jenen anderen Kalender nicht existierte.
So erhaltet unsere Hilfe ohne Scham.
Erhaltet sie als das, was sie ist, als einen Gruß.
Rüttelt damit als Vorwand die Welt auf, zerkratzt die Mauern, sagt „nein“, hebt euer Herz und euren Blick.
Wenn der Mächtige sie nicht sieht noch hört, sehen und hören sie im dafür die Zapatistas, die obwohl wir nicht groß sind, in großer Menge seit Jahrhunderten daherkommen und gut wissen, dass das Morgen geboren ist, wie es sein soll, das heißt, unten und links.
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Von Individuen und Kollektiven
Es gibt viele Dinge, die wir nicht erklären können. Wir wissen, dass sie so sind, aber unsere Kenntnis ist rudimentär und wir können nicht erklären warum.
Sie sehen schon, zum Beispiel, dass die „großen Köpfe“ uns sagen, dass wir nichts vom Marxismus verstehen (ich weiß nicht, ob das eine Schwäche oder Stärke ist), dass wir ein verlängertes Hirngespinst in der Zeit sind, durch Gründe, die sie nicht erklären können, die aber kleine Verdächtigungen sind. Da es nicht möglich ist, dass eine Gruppe von Indígenas denkt, muss es der weiße Mann oder eine dunkle Macht sein, die uns manipuliert und uns wer weiß wohin bringt.
Unser Wissen, sagen sie uns, ist nichts weiter als Voluntarismus und viel Glück in den bessern Fällen, oder einfache Manipulation eines perversen Geistes im schlimmsten Fall.
Aber das ist nicht, was sie besorgt, wenn uns jemand befiehlt oder leitet. Was sie plagt ist, dass nicht sie es sind. Es ist ihnen unangenehm, dass wir nicht gehorchen, dass die Unbeugsamkeit auf diesen Stückchen Erde keine Fahne ist, sondern schon eine Art zu leben.
Zusammengefasst, es plagt und stört sie, dass wir Zapatistas sind.
Und die gleiche Unfähigkeit, die sie in uns für den Kampf vermuten, dehnen sie auf das Wissen aus.
Sie betrachten uns weiterhin von oben. Von ihrem weiten und luxuriösen Geländern zeigen sie sich um uns mit Spott, mit Mitleid, mit Missbilligung zu betrachten. Und kehren dann zurück zu ihren 1. Klasse-Kabinenräumen um zu masturbieren, an ihren Wohlstand und Wohlergehen denkend. Sich aufgeilend indem sie sich den Schmerz in dem anderen, die Verzweiflung in der anderen, die Angst in der*dem anderen* vorstellen.
Denn sie reisen in der oberen Klasse des hochmütigen Schiffes, navigieren die große schwebende Finca [dt. Großgrundbesitz/Plantage] die die aktuellen Geografien und Kalender durchstreift.
Aber wenn sie sich erneut hinauslehnen und ihren Blick nach unten und nach links richten, sehen sie uns mit Besorgnis noch näher an.
Aber nein, es ist nicht so, dass wir gewachsen sind, um sie zu erreichen. Es ist nicht so, dass wir uns strecken, um zu erreichen wie sie zu sein.
Nein, wir sind nicht sie. Und das wollen wir auch nicht sein.
Wenn sie uns näher sehen, ist es schlicht und einfach, weil ihr hochmütiges Schiff untergeht. Es sinkt unvermeidlich, und das wissen der finquero [Anmk.: Besitzer/Verwalter der Finca], die Vorarbeiter und Aufseher, die schon die Boote parat haben, um das Schiff zu verlassen, wenn die Katastrophe so offensichtlich wird, dass niemand sie leugnen kann.
Aber nehmen sie mich nicht ernst. Sie sind die großen Fachmänner, jene die mit Anmut die neuen wunderbaren Technologien steuern. Sie sind es, die mit einem Fingerstreich, Rechtfertigungen finden können für ihren Zynismus, ihre Niederträchtigkeit, ihren Schwachsinn, das nicht, dadurch, dass sie sich aufgeklärt kleiden, aufhört zu sein, was es ist: ein pedantischer und zynischer Unsinn. Sie, die mit Geschicklichkeit, die Argumente die sie darin gegen sich selbst finden, beseitigen, die Worte und Tatsachen verfälschen und bearbeiten um sie der Zweckmäßigkeit anzupassen.
Und es interessiert sie nicht mal uns zu korrigieren. Sie wollen sich nur trösten in ihrer Niederträchtigkeit, in ihrer Einsamkeit. Und sie beanspruchen für sich individuell, einzigartig, einmalig zu sein, aber sie sind nichts weiter als eine von Millionen von Fliegen die um die Scheiße flattern.
Sie, die glauben zu wissen und nicht wissen. Sie, die gewinnen wollen, und verlieren.
Denn sie glauben sich in Sicherheit vor dem Kollaps. Dass der Schmerz immer der der anderen sein wird.
Glauben sie tatsächlich, dass das Unglück vorher an ihre Tür klopft und um Einlass in ihr Leben bitten wird?
Glauben sie, dass es eine Vorankündigung geben wird, dass es eine App für das Handy geben wird, die sie benachrichtigt, dass sich die Tragödie nähert?
Erwarten sie, dass der Alarm ertönen wird und sie ordnungsgemäß ihre Arbeit, ihr Haus, ihr Auto verlassen können und sich an einem bestimmten Punkt versammeln?
Hoffen sie, dass in ihren armseligen Welten plötzlich ein Signal erscheinen wird, das anzeigt: „Versammlungspunkt im Fall der Apokalypse“?
Haben sie in ihren Dörfern, in ihren Wohnvierteln, in ihren Städten, in ihren Ländern, in ihren Welten, eine Tür mit einem Leuchtschild darüber, das lautet „NOTAUSGANG“?
Nehmen sie an, dass es wie in den Serien und Katastrophenfilmen sein wird, dass alles normal ist und im nächsten Augenblick zerfällt alles?
Kann sein. Sie sind es, die wissen, die Urteile und Strafen erteilen.
Aber, für uns Zapatistas, wird der Alptraum von dem Mächtigen Stück für Stück konstruiert. Und mehr denn je präsentiert er ihn als eine Wohltat, einen Fortschritt. Manchmal ist es der Fortschritt, die Entwicklung, die Zivilisation.
Aber Sie sehen schon, dass wir Indígenas sind, was, laut ihnen bedeutet, Unwissende, manipuliert durch die Religion, oder die Notwendigkeit, oder beides.
Für sie haben wir nicht die Fähigkeit noch die Vernunft eine Sache von der anderen zu unterscheiden.
Für sie sind wir unfähig zur geringsten Theoriebildung.
Aber, zum Beispiel, vor mehr als 20 Jahren deuteten wir den Kollaps an, den die neoliberale Globalisierung erleiden würde. Heute entdecken die großen Köpfe, dass, in der Tat, die Globalisierung explodiert und schreiben minutiöse Essays um das zu beweisen, was man feststellen kann, wenn man den Fernseher, den Computer ausstellt, oder für einen Augenblick das Handy in Ruhe lässt, und wir sagen nicht einmal, wenn man auf die Straße geht, es würde reichen sich aus dem Fenster zu lehnen um festzustellen, was passiert. Sie zitieren und rezitieren sich untereinander, sie beglückwünschen sich und tauschen Schmeicheleien und theoretische Streiche aus (ok, auch Beischlaf, aber jeder mit sich selbst).
Gäbe es theoretische Gerechtigkeit, würde man erkennen, dass es die Kleinsten der Kleinen waren, die auf die laufende Katastrophe hingewiesen haben.
Sie sagten nicht, ob sie gut oder schlecht sei, sie vertieften und teilten nichts in Fußnoten, noch begleiteten sie ihre Behauptungen mit Referenzen seltsamer Namen mit vielen akademischen Graden.
Ich erzähle Ihnen dies, weil ich Ihnen vor ein paar Tagen erzählte, dass ich zwischen den Papieren des SupMarcos diesen Text gefunden habe, der die Gründe und Motive erklären soll, die einen Käfer mit Taufnamen Nabucodonsor dazu brachten einen Kampfnamen zu wählen und einen ebensolchen Beruf, sein Haus und seine Familie zu verlassen und, bewaffnet mit der Schale einer Eichel als Helm, einem Plastikdeckel einer Medizinflasche als Schild, eine Büroklammer als Lanze und einem Zweiglein als Schwert (das er, natürlich, Excalibur nennt), eine unmögliche Liebe wählt, eine Schildkröte mit den paradoxen Namen „Pegasus“ als Reittier bestimmt, als Schildknappen einen Guerrillero mit offensichtlicher Nase wählt, und sich entschließt die Wege der Welt zu durchstreifen.
Aber ich habe diesen Text nicht gesucht. Denn in letzter Zeit habe ich Studien und Analysen gelesen und gehört, die behaupten, dass es scheint, es möglich ist, sein kann, es eine Vermutung ist, dass die neoliberale Globalisierung nicht das versprochene Allheilmittel ist und in Wirklichkeit mehr Schaden als Wohltaten verursacht.
Und so ging ich, um in jener Truhe herumzuwühlen, weil ich dachte dies bereits früher gelesen zu haben.
Und so fand ich ihn und hier lese ihn Ihnen vor. Er trägt das Datum April 1996 und ist eine Rede verfasst von einem Käfer. Die Überschrift lautet:
„VERHEIßUNGSVOLLE ELEMENTE FÜR EINE INITIALE ANALYSE, ALS ERSTE GRUNDLAGE EINER URSPRÜNGLICHEN ANNÄHERUNG AN DIE ÄLTESTEN FUNDAMENTALEN ÜBERLEGUNGEN ÜBER DIE SUPRAHISTORISCHE GRUNDLAGE UND SUPERCALIFRAGILISTICOESPIRALIDOSO [Anmk.: Songtitel diverser Interpret*innen] DES NEOLIBERALISMUS IN DEN SCHICKSALHAFTEN UMSTÄNDEN DES 6. APRIL 1994 UM 0130, SÜDÖSTLICHE ZEIT, MIT REGEN, DER DAZU NEIGT SICH ZU ENTLEEREN WIE DIE HOSENTASCHEN DES ARBEITERS IM AUFSCHWUNG DER PRIVATISIERUNGEN, WÄHRUNGSAUSGLEICHEN UND ANDEREN ÖKONOMISCHEN MAßNAHMEN, SO EFFEKTIV, DASS SIE ZUSAMMENTREFFEN WIE DAS VON LA REALIDAD PROVOZIEREN“ (Erster von 17.987 Teilen).
Die Rede ist ziemlich knapp. Tatsächlich besteht sie aus einem einzigen Satz der besagt:
„Das Problem mit der Globalisierung im Neoliberalismus ist, dass die Globen zerplatzen“.
Oh, ich verstehe, dass man in einer „seriösen“ Publikation der Akademie oder dem begrenzten Universum der Profitmedien nicht in der Fußnote zitieren kann: „Don Durito de La Lacandona (Op. Zit. 1996)“. Denn dann müsste der Autor erklären, am Ende der Publikation, dass der Autor, auf den sich bezogen wurde, ein Käfer ist, der glaubt ein fahrender Ritter zu sein und dessen Fährte sich in La Realidad, am 25. Mai 2014, verloren hat.
Aber ich sage Ihnen, dass es viele Dinge gibt, dessen warum wir nicht erklären können, die aber so sind.
Zum Beispiel, die Individualität und das Kollektive.
Kollektiv ist besser als individuell. Ich kann Ihnen nicht wissenschaftlich erklären warum, und sie haben jedes Recht mich als Esoteriker oder etwas gleich schlimmes zu verurteilen.
Was wir gesehen haben in unserem begrenzten und archaischen Horizont ist, dass das Kollektiv das Beste aus jeder Individualität hervorholen kann.
Es ist nicht so, dass das Kollektiv dich besser und die Individualität dich schlechter macht, nein. Jede*r ist so, wie er/sie ist, ein komplexes Bündel von Stärken und Schwächen (was auch immer die einen und die anderen bedeuten mögen), aber in gewissen Situationen treten die einen oder die anderen hervor.
Probieren Sie es aus, auch wenn es nur einmal ist. Es wird Ihnen nichts passieren. Auf jeden Fall, wenn Sie so wunderbar sind, wie Sie sich selbst begreifen, dann werden Sie ihre Position, dass die Welt Sie nicht verdient, verstärken. Aber vielleicht entdecken Sie in sich selbst Geschicke und Fähigkeiten, von denen Sie nicht wussten, dass Sie sie haben. Probieren Sie es, wenn es Ihnen nicht gefällt, können sie jederzeit zu Ihren Twitterkonto, zu Ihrer Facebook-Wand zurückkehren, und von da weiterhin der gesamten Welt vorschreiben, was sie sein und tun soll.
Aber nicht deshalb empfehle ich Ihnen nun, dass Sie in einem Kollektiv arbeiten und kämpfen mögen. Der Punkt ist der, dass der Sturm kommt. Was man jetzt sieht ist bei Weitem nicht der kritischste Moment. Das Schlimmste kommt erst noch. Und die Individualist*innen, so brillant und fähig sie sich glauben, werden nicht überleben können wenn es nicht zusammen mit anderen ist.
Wir haben gesehen wie die kollektive Arbeit nicht nur das Überleben mehrerer Endstürme der Ursprünglichen erlaubt hat, auch, dass sie vorankommen, wenn sie in einer Gemeinschaft sind und verschwinden, wenn jede*r nur das individuelle eigene Wohlergehen sucht.
Das, auf was sich die zapatistischen indigenen Gemeinden beziehen, die kollektive Arbeit, brachte nicht die EZLN, auch nicht das Christentum, weder Christus noch Marx hatten etwas damit zu tun, dass in Momenten der Gefahr, angesichts äußerer Bedrohungen, für die Feste, die Musik und den Tanz, die Gemeinden in den Territorien der ursprünglichen pueblos ein einziges Kollektiv werden.
Nun ja, da sehen Sie es.
Aber, wie auch immer, rate ich Ihnen das Beste aus dem zu machen, was der Nationale Indígena Kongress (CNI) ab Mai dieses Jahres tun wird. Wir hoffen wirklich, dass der CNI sein eigenes Mandat erfüllt und nicht in die Suche nach Stimmen und Posten verfällt, sondern, dass er das brüderliche Ohr hat, für jene von unter, die einsam und voll Schmerz sind, und dass er ihn lindert mit dem Ruf nach Organisierung.
Der Gang dieser compañeras und compañeros wird Stadtteile, Gemeinden, tribus, naciones, ursprüngliche pueblos [Anmk.: Selbstzuschreibungen, wörtlich übersetzt: Stämme, Nationen, Gemeinden/Völker] sichtbar machen. Nähern Sie sich ihnen an, den Indígenas. Legen Sie, wennSsie können, die anthropologische Brille ab, die jene als seltsame und anachronistische Getiere sieht. Lassen Sie das Mitleid und die Position als evangelisierender Missionar, der ihnen Erlösung, Hilfe, Erkenntnis anbietet, bei Seite. Nähern Sie sich als Schwester, Bruder, hermanoa [Anmk.: zapatistische Genderform für Geschwister*].
Denn, wenn die Zeit kommt, in der niemand weiß, wo er/sie hin soll, werden diese Ursprünglichen, die heute missachtet und erniedrigt sind, wissen wohin mit dem Schritt und mit dem Blick, das Wie und das Wann. Kurz sie werden wissen die wichtigste und dringendste aller Fragen in diesen Momenten zu beantworten: „Was folgt?“
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Nun, um zum Ende zu kommen, einige Hinweise in Kürze. Einige Wegweiser also.
.- Wenn Trump von der Wiederherstellung der Grenzen der Vereinigten Staaten spricht, sagt er, dass es sich um die von Mexiko handelt, aber der Blick des finquero richtet sich auf das Territorium der Mapuche [Anmk.: in den Andenregionen Chiles und Argentiniens]. Der Kampf der Ursprünglichen kann nicht, noch sollte er sich auf Mexiko beschränken, er sollte den Blick, das Ohr und das Wort erheben und den gesamten Kontinent einschließen, von Alaska bis nach Feuerland.
.- Wenn wir, in der Stimme des Subcomandante Insurgente Moisés, sagen, dass sich die ganze Welt in eine Finca und die nationalen Regierungen in Vorarbeiter, die Macht und Unabhängigkeit simulieren, wenn der Patron [Anmk.: (Schutz)Herr, Chef/Verwalter einer Finca] abwesend ist, verwandeln, weisen wir nicht nur auf ein Paradigma mit Konsequenzen für die Theorie hin. Auch deuten wir ein Problem an, das praktische Konsequenzen für den Kampf hat. Und wir beziehen uns nicht auf die „großen“ Kämpfe, die der politischen Parteien und der sozialen Bewegungen, sondern alle Kämpfe. Der Zapatismus, als libertäres Denken, erkennt die Flüsse Bravo und Suchiate [Anmk.: Río Bravo als Grenzfluss zu den USA, Río Suchiate als Grenzfluss zu Guatemala] nicht als Grenzen seines Strebens nach Freiheit an. Unser „für alle alles“ kennt keine Grenzen. Der Kampf gegen das Kapital ist global.
.- Zwischen den Optionen, war und ist unsere Position klar: es gibt keinen guten Vorarbeiter. Aber wir verstehen, dass jemand eine Unterscheidung macht, in den meisten Fällen als Trosttherapie, zwischen den Schlechten und den Schlechtesten. Ok, wer ein bisschen macht, gibt sich mit ein bisschen oder nichts zufrieden.
Aber sie sollten versuchen zu verstehen, dass wer alles riskiert, alles will. Und für uns, Zapatistas, ist das alles die Freiheit.
Wir wollen nicht wählen zwischen einem grausamen und einen gütigen Chef, wir wollen schlicht und einfach keine Chefs.
Das ist es.
Vielen Dank. Ich meine, außer denen, die mich auszeichnen.
SupGaleano.
April 2017.
AUS DEM NOTIZHEFT DES KATZE-HUND
I.- Bilder der globalen Finca.
Sie haben die Herren John McCain und John Kelly zur Rechenschaft einberufen. Der erste ist Senator und der zweite ist Sekretär der Nationalen Sicherheit, beide in der nordamerikanischen Regierung. Der Patron wirft ihnen vor öffentlich erklärt zu haben, dass es ein Problem wäre, wenn eine Kandidatur der Linken die Präsidentschaft in Mexiko übernehmen wird, was von einigen der Vorkandidaten ausgenutzt wurde, um sich selbst zu fördern.
Sowohl McCain als auch Kelly schauen sich gegenseitig erstaunt an und argumentieren: „aber wir haben das gemeint, was die die fuckin indios frijoleros brownies [Anmk.: gemeint ist der Nationale Indígena Kongress (CNI)] vorhaben, die sagen, dass sie nicht nur Mexiko, sondern die gesamte Welt mit ihrem fucking council [Anmk.: gemeint ist der Indigene Regierungsrat des CNI] regieren können. Sie sind tatsächlich ein Problem, ich weiß nicht warum der andere [Anmk.: gemeint ist wohl Andrés Manuel López Obrador (AMLO), dreimaliger ´linker` Präsidentschaftskandidat] sich angesprochen fühlte, er und wir wissen, dass er keine Bedrohung darstellt, außer für sich selbst“.
Der Patron, welcher der finquero, welcher der Kapitalist ist, hörte sie und bewegte den Kopf beipflichtend mit Zustimmung. Er gab ihnen Befehl sich zurück zu ziehen und rief Donald und seine Mama (die hier nur erscheint der Indiskretion wegen) an, so wie die politischen Hauptführer um ihnen Anweisungen zu geben.
Stunden später, in feierlicher Sitzung des nordamerikanischen Kongresses, zeichnete Trump Senator McCain und General Kelly mit der Medaille des wahren Kapitalisten aus, die höchste Ehre, die der Patron den Vorarbeitern, Verwaltern und Anführern verleiht.
Die Sitzung verstrich ohne größere Zwischenfälle als man im Pressekonferenzsaal viel Lärm vernahm, wo sich die für das Weiße Haus zugewiesenen Anführer äußerst langweilten. Auf einmal schlugen sich alle um einen der Monitore.
Es stellte sich heraus, dass ein Kollege, gelangweilter als die Haartolle von Trump, im Netz „zappte“ und auf die Seite des Zapatistischen Intergalaktischen Fernehsystems („SIZATI“ für sein Akronym in spanisch) gelangte.
Auf dem Bildschirm beobachtete man die selbe Zeremonie aber mit einer Kamera die alles aus der Rückenansicht von Trump aufnahm.
Im Bild sah man, dass Trump einen Zettel, auf eine der Pobacken geklebt, trug, der besagte „Kick me“ [dt. Tritt mich], und einen anderen auf der anderen Pobacke, der lautete „Fuck me“ [dt. Fick mich], und einen weiteren, auf Höhe der linken Schulter, auf dem man las „Vamos por todo para todoas“ [dt. Wir wollen alles für alle] und unterzeichnet „El fucking Congreso Nacional Indígena“ [dt. Der verdammte Nationale Indígena Kongress].
Die Korrespondent*innen wurden verrückt und riefen tobend ihre Redaktionen an, die Hauptfernsehsender der Welt unterbrachen ihr gewohntes Programm um sich mit dem SIZATI zu verbinden. Auf dem ganzen Planeten füllten sich die Bildschirme mit den Pobacken von Herrn Trump.
Die Folgen ließen nicht auf sich warten: die sehr ehrbare, diskrete und bescheidene Familie Kardashian erlitt eine kardiale Ohnmacht, da ihre Realityshow 100% der Zuschauer*innen verlor; die gesamte Welt verpasste die Höhepunktszene der Serie The Walking Dead, in der Darill seine Liebe zu Rick gesteht und, als sich Rick und Flechitas leidenschaftlich küssen, zack!, schlägt Michone beiden die Köpfe ab und, ihr Katana [Samuraischwert] in die Hülle steckend, sagt, während sie in die Kamera schaut: „Besser ich gehe in die fuckin Selva Lacandona um meine wahre Liebe zu suchen, den fuckin SupGaleano, damit Rousita ihn mir nicht wegnimmt“, und sie konnten auch nicht die letzte Episode der Serie Games of Thrones sehen, in der Dayanaris Tyron einen Kuss gibt, beweisend, dass das fuckin Kleine [Anmk.: der sogenannte ´kleine Mann`] gewinnt wenn es zählt und, dass, John Snow tatsächlich überhaupt nichts wusste.
Vom Podium des Kongresses aus beobachtete Trump die Aufregung der Korrespondent*innen und dachte für sich, dass die fuckin Presse letztendlich seine Größe verstanden hat, das heißt von Trump himself [dt. er selbst].
Stunden später überwachten die Siebte Schiffsflotte der fuckin Marine und der fuckin Division 101 der Luftlandetruppe die Meere und Himmel der Welt, wartend, dass die Geheimdienste der NATO den Standort des fuckin SIZATI ausfindig machen, um 3.000 Raketen Tomahawk mit je 3.000 Nuklearköpfen, sowie die Mutter aller Bomben, abzuwerfen.
Den Bunker des Patrons erreichte die Mitteilung: „los fuckin bastards are fuckin ever where“ [dt. „die verdammten Bastarde sind verdammt noch mal überall“], auf Spanisch kann man es übersetzen als „no tenemos una fuckin idea de donde están esos weyes“ [dt. „wir haben keine verdammte Idee, wo diese Typen sind“].
Die Militärindustrie arbeitete schon mit Volldampf um eine neue Bestellung von Raketen zu erhalten, so mussten die gebraucht werden, die es bereits gab, damit die fuckin Gesellschaft des finquero nicht verärgert ist. Der Patron kritzelte einen neuen Befehl. Der fuckin Sekretär der Gringo-Verteidigung [Anmk.: die US-amerikanische Verteidigung], schaute den finquero fassungslos an. Der Boss sah ihn bloß mit einem Gesicht an wie „befolgen und gut“, und der Militär rannte um den neuen fuckin Befehl zu übermitteln.
Die 3.000 fuckin Raketen Tomahawk erhielten ein neues fuckin Ziel: das fuckin Weiße Haus (das von Trump, versteht sich, don´t worry fuckin Peña Nieto).
„Feuer“, befahl der fuckin finquero, „wir werden schon einen anderen fuckin Aufseher finden“.
Einige wenige Stunden später drückten die Weltanführer weltweit ihr Bedauern gegenüber dem „Brudervolk der Vereinigten Staaten“ aus, und eine lange Schlange von Anwärtern wartete außerhalb des großen Hauses des Patrons, dass sie an die Reihe kommen.
Zwischen den Angetretenen konnte man Hillary [Hillary Clinton], El Chapo [Anmk.: mex. Drogenboss, im Januar 2017 an die USA ausgeliefert], La Calderona [Anmk.: Ehefrau von Felipe Calderón, Präsident von 2006-2012] und Möchte-gern-Polizist Aurelio Nuño Ramsey [Anmk.: Minister für öffentliche Bildung, unter seine Leitung fällt die ´Bildungsreform` und einhergehenden Repression gegen Lehrer*innengewerkschaften], der für sich selbst wiederholte „man sagt read, nicht red“, ausmachen.
Sehr weit von dort entfernt, im Südosten des mexikanischen Staates Chiapas, in den Höhen einer Ceiba [Anmk.: Baum, Symbol der Weltachse in der Maya-Vorstellung], mit einem Computer verbunden mit dem Internet, mittels einer Antenne, die der SubMoy und der Monarca hergestellt haben mit dem Deckel eines Topfes, einer Liane, Klebeband und einem USB-Modem, schauen sich ein Mädchen und ein Junge gegenseitig ratlos an und sie wirft ihm vor: „Ich sagte dir klick nicht da“. Der Junge verteidigt sich „Ich war es nicht“. Inmitten der zwei Kinder wedelt ein Tierchen, dass eine Katze zu sein scheint … oder ein Hund, fröhlich mit den Schwanz und lächelt mit fuckin Boshaftigkeit.
(fuckin fade out/ fuckin Ausblende)
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II.- Defensa Zapatista [dt. Zapatistische Verteidigung] und der Stein auf dem Weg.
„Warum sind die verdammten Männer so?“
Die Frage kommt von der Tür der Hütte und es ist das Mädchens Defensa Zapatista, die mich, mit den Armen in die Hüfte gestemmt, streng ansieht.
Sie hat mich überrascht. Ich versuchte zu entschlüsseln, wie es möglich war, dass mehr 50 nordamerikanische Raketen Tomahawk nur 5 oder 6 Tote auf dem Militärflughafen in Syrien verursachen konnten. Entweder wurden diese Tomahawk in China hergestellt, oder die Gringos haben zunächst die Russen benachrichtigt, damit sie Zeit zum räumen hatten.
Ich könnte Defensa Zapatista um ihre Meinung bitten, aber ich glaube der Zeitpunkt ist nicht passend. Denn während ich Ihnen dies erzähle, ist das Mädchen schon in der Hütte und hat sich mir gegenüber aufgestellt. An ihrer Seite der Katze-Hund schaut mich auch fest, mit Missbilligung, an.
Ich war dabei zu antworten „wie so?“, aber das Mädchen erwartet keine Antwort, sondern versicherte sich nur, dass ich ihr zuhöre. Sie fährt fort:
„Hat Gott euch so gemacht oder studiert ihr das Trottel sein? Oder bereitet ihr euch darauf vor oder trainiert ihr um dämlich zu sein?
Oder kommen sie bereits so, aber wenn sie klein sind, weiß man es nicht und wenn sie heranwachsen, ist dann der, der ein Trottel ist der Mann, und die, die schlau ist, die Frau?
Ich bereite einen langen Diskurs vor, über, wie man sagt, Geschlechterverteidigung, aber da ist eine Machete zu nah bei dem gereizten Mädchen und ich bezweifle, dass es klug wäre zu versuchen mich auch nur zu bewegen, denn der Katze-Hund knurrt feindselig zu meinen Füßen.
Es gelingt mir nicht zu verstehen, was es ist, das den zapatistischen Zorn des Mädchens provoziert hat, aber sie hält nicht inne, nicht mal um Luft zu holen.
„Meinst du etwa wir als Frauen wüssten nicht die Machete zu benutzen? Wir wissen es. Und wir wissen die Erde zu bearbeiten und auch wann man sie rodet und wann man sie verbrennt und wann man sät.
Meinst du etwa wir wüssten nichts von Tieren? Das heißt von anderen Tieren, ich meine nicht die Männer.“
Als der Sturm abflaut, frage ich Defensa Zapatista was passiert ist, was sie so aufgebracht hat.
Zwischen Drohungen und Geschlechterprotest erzählt mir das Mädchen:
Es war so, dass der autonome Kommissar kam, um den Bolzplatz auszumessen, weil sie eine Bühne für das nächste CompArte aufstellen werden.
Defensa Zapatista hätte gerne, dass die Bühne auf der Seite des Flusses wäre. So würde sie später dazu dienen, dass sie hinaufsteigt um die Trophäe zu erhalten, wenn das Team vollständig ist und die Meisterschaft gewinnt.
Der Kommissar sah, dass es besser hinter dem Tor ist, das zum Weg führt, und schenkte den Argumenten des Mädchens keine Beachtung, die, als ihr widersprochen wurde, entschied, dass der Kommissar, als Mann, ihre Rechte „ als Frauen die wir sind“ angreift und begann ihm, wie man sagt, eine politische Lektion zu geben.
Sie erzählt mir, dass die Sache ernst wurde, da der Katze-Hund sich verpflichtet fühlte in die Argumentation zu intervenieren und den Kommissar in den Knöchel biss. Deshalb mussten der Hund, die Katze oder was auch immer und das Mädchen zur Schule gehen, wo die Bildungspromotorin entrüstet den, wie man sagt, „Zusammenhang der Fakten“ hörte, die ihr der Kommissar erzählte.
Ergebnis: zur Strafe sollten das Mädchen und der Katze-Hund SupGaleano suchen und mit ihm reden, damit er ihnen erklärt, warum die Kunst wichtig im Kampf ist.
Ich sah nicht viel Bereitschaft zur Lehre sagen wir mal, weder bei dem Mädchen noch bei dem Tierchen. So versuchte ich meine berühmte pädagogische Methode des „Umkehrung“ anzuwenden, die auf dem philosophischen Postulat basiert, dass es „kein Problem gibt, das groß genug ist, um es nicht umzudrehen“ .
So erzählte ich ihnen die folgende Geschichte:
„Der Stein auf dem Weg“
Es war einmal eine Gemeinde. Jeden Tag, sehr früh am Morgen, tranken die Männer und Frauen ihren Kaffee und aßen ein bisschen Böhnchen und, nachdem sie eine Kugel Pozol [Anmk.: feste Masse aus Maisbrei] und eine Flasche Wasser in den Tornister gepackt haben, gingen sie zur kollektiven Milpa [Anmk.: gemeinschaftlich bearbeitetes Maisfeld]. So war es jeden Tag, und der Gang der indigenen Bevölkerung folgte seinem Leben des Widerstandes und der Rebellion.
Aber es kam, dass es eines Tages sehr stark regnete und sich ein großer Stein von einem Hügel löste und den Weg zur Milpa verschloß. Das ganze Dorf ging um es zu sehen. Ja, es war ein sehr großer Stein. Sie versuchten ihn zu bewegen, aber nichts da, nicht ein bisschen.
So hielten sie genau dort eine Versammlung ab und gaben ihre Gedanken darüber, was sie tun würden.
Einige sagten, dass es halb so wild ist, dass man einen anderen Ort suchen muss um die Milpa anzulegen.
Andere sagten, nein, da das Gelände schon gerodet wurde und die ganze Arbeit vergebens bliebe, wenn sie es nicht weiter bearbeiten.
Andere sagten, dass die Mafia der Macht den Stein dorthin gesetzt hat, als Teil eines Komplotts gegen den indigenen Regierungsrat des Nationalen Indígena Kongress.
So diskutierten sie weiter und bildeten verschiedene Gruppen: eine Gruppe sagte, dass sie zu Gott beten sollten, damit er den Stein entfernt, eine andere Gruppe sagte, weder Gott noch sonst etwas, sondern Wissenschaft, und die andere sagte, dass man untersuchen und die Spuren des Chupacabras Salinas [Anmk.: chupacabras ist ein Fabelwesen ähnlich einem Vampir; Salinas (Carlos Salinas De Gotari) war Präsident von Mexiko 1988-1994, PRI, Unterzeichner Freihandelsabkommen NAFTA 1992] ausfindig machen müsse, die von De Gotari, nicht die von Pliego [Anmk.: Großunternehmer und einer der reichsten Mexikaner*innen]. Denn Salinas De Gotari war der schlechte Salinas und Salinas Pliego war der gute Salinas.
Dann machte es jede Gruppe wie sie es sich überlegte.
Die des Gebets holten Weihrauch und ein Bild des Schutzheiligen des Dorfes, errichteten einen kleinen Altar und beteten und beteten.
Die andere Gruppe holte ihre Hefte und das Maßband und vermaßen und rechneten, um, einen Hebel mit einem Stock machend, den Stein zu bewegen.
Die andere holte das Detektivequipment der Marke „Mi Alegría“ [dt. „Meine Freude“] und mit einer Lupe und einem Mikroskop überprüften sie den Stein um zu sehen, ob der Chupacabras Spuren mit seinen Hufen hinterlassen hat.
Die drei Gruppen waren da und machten das, was, wie sie dachten, am Besten ist, um das Problem zu lösen.
Damit waren sie beschäftigt, als ein Mädchen kam.
Sie kam von der Milpa.
Alle umkreisten sie und begannen Fragen zu stellen.
Die Gruppe des Gebets fragte sie, ob Gott einen Engel geschickt hat, der sie fliegend über den Stein getragen hat, und begannen zu schreien „ein Wunder, ein Wunder!“, und Psalme und Lobpreisungen zu singen.
Die wissenschaftliche Gruppe fragte sie, wie sie die Verteilung des Abstützpunktes, der Kraft und des Widerstandes gelöst hat, und machten sich bereit die Skizze in ihre Notizhefte aufzunehmen.
Die dritte Gruppe bat sie um Beweise der Beteiligung des schlechten Chupacabras, während sie eine Anzeige verfassten in der die Unterzeichner*innen alle dazu aufrufen mit ihrer Stimme den diensthabenden Heiland zu unterstützen. Die Anzeige soll in den Medien im Besitz des guten Chupacabras [Anmk.: die größten Mediensender Mexikos, von Salinas Pliego] erscheinen.
Das Mädchen schwieg und schaute alle verwundert an.
Schließlich ließen sie sie reden und sie erklärte, dass, als sie am Morgen mit einem Jungen los ging, war da der verdammte Stein (so sagte sie es) und wie sie nicht vorbeikam, gingen, sie und der Junge, um die Machete zu holen und schufen einen Weg um den verdammten Stein (so sagte sie es) herum und, mit ihren Händchen, zeigte sie auf den Einschlag, der, tatsächlich, um das Hindernis herumführte und sich den Weg weiter vorne anschloß. An ihrer Seite schwieg der Junge.
Erst dann nahmen die drei Gruppen das Weglein war.
Alle feierten und gratulierten dem Mädchen weil sie „die“ Problem gelöst hat.
Der Kommissar gab einen lobpreisenden Diskurs auf das Mädchen, das verstanden hat, dass der Weg zur Milpa sehr wichtig ist und sie deshalb den Weg gemacht hat.
Alle applaudierten und baten das Mädchen um Wort.
Das Mädchen trat vor die Versammlung und erklärte:
„Eigentlich habe ich gar nicht so gedacht, wie sie sagen, ich wollte nur ein paar Blumen Chene´k Caribe pflücken damit mein Schwesterlein damit spielt, und der Pedrito hier wollte dem Dachs auf die Spur kommen, damit der nicht den Mais stiehlt“, und zeigte der Versammlung die Blumen, während der Junge sich dahinter versteckte.
Alle blieben still und ein bisschen beschämt.
Schließlich ergriff der Kommissar das Wort und sagte: „Nun, man muss eine Feier machen“.
„Jaaa“ sagten alle und gingen um zu feiern.
Ta-ta.
Defensa Zapatista hörte aufmerksam die ganze Geschichte an.
Dann ging der Katze-Hund zur Ecke wo meine Machete war und, mit dem Schwanz wedelnd, bellte und miaute er das Mädchen an. Defensa Zapatista beobachtete ihn und, plötzlich, sprang sie schreiend auf „Natürlich!“, und ging und nahm die Machete.
„Wirst du einen anderen Weg machen?“ fragte ich sie.
„Weder einen Weg noch sonst was!“, sagte sie mir, bereits in der Tür.
„Ich werde Pedrito suchen und im Kollektiv werden wir die Bühne des Kommissars zerstören. Pedrito werde ich als Wache einsetzen, damit er aufpasst, ob sich der Feind nähert. Und danach werden wir eine andere, viel hübschere Bühne als die des Kommissars machen und werden viele Blumen und Farben anbringen und er wird sehr fröhlich sein und die Musiker und Tänzerinnen werden zu unserer Bühne kommen wollen und nicht zu der des Kommissars, welcher sehr traurig sein wird, weil es der der verdammten Männer ist. Und ich werde den Musikern sagen, dass sie das Lied spielen sollen, wenn wir die Partie gewinnen und ich werde die Tänzerinnen überzeugen, dass sie in mein Team eintreten und so werden wir mehr sein, obwohl mit Verzögerung, aber wir werden mehr sein.“
Defensa Zapatista ging. Ich blieb in der Hütte, darüber nachdenkend, was es ist, das schief gegangen ist bei meiner pädagogischen Methode.
Jetzt bin ich hier, vor der Hütte sitzend, darauf wartend, dass sie mir mitteilen, dass Defensa Zapatista in der Schule bestraft wird, mit dem Katze-Hund schlafend in ihrem Schoß, während sie in ihr Heft 50 Mal schreibt „ich soll den Geschichten des fuckin SupGaleano keine Beachtung schenken“.
Fuckin Danke.
SupGaleano.
April 2017.
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