EINE GESCHICHTE, UM VERSUCHEN ZU VERSTEHEN.
17. November 2016.
An die Sexta nacional und internacional.
An die, die mit dem Kampf der Pueblos originarios sympathisieren und ihn unterstützen.
An die, die Antikapitalist_inn_en sind.
Compañeras, Compañeros, Compañeroas.
Schwestern und Brüder.
Diesen langen Text produzierten wir gemeinsam mit dem Subcomandante Insurgente Moisés, dem aktuellen Sprecher und Jefe (1) des EZLN. Einzelne Details beratschlagten wir mit einigen der Comandantas und Comandantes der zapatistischen Delegation, die an der ersten Etappe des V. Kongresses des Congreso Nacional Indígena teilgenommen hatten.
Obzwar – wie auch andere Male – die Redaktion des Textes meine Aufgabe darstellt, ist es der Subcomandante Insurgente Moisés, der diesen Text liest, Anfügungen macht, ihn überprüft oder zurückweist – nicht nur diesen, sondern alle authentischen Texte des EZLN, die veröffentlicht werden. Im Textverlauf werde ich nicht selten das erste Personalpronomen im Singular verwenden. Das wird sich weiter unten erklären. Die Hauptadressatin dieser Zeilen ist die Sexta, jedoch haben wir entschieden, die Adressierung auf diejenigen auszuweiten, die – ohne mit uns, Frauen und Männern, zu sein – die gleichen Beunruhigungen und ähnliche Bestrebungen haben. Dann mal los:
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…UND AUCH NICHT UNSERE ALPTRÄUME.
Vor einigen Jahren erwuchs aus der Kreativität und Genialität eines Kollektivs der Sexta ein Satz, der im Laufe der Zeit dem Zapatismus zugeschrieben wurde. Sie wissen gut, wir sind gegen das Copyright, jedoch pflegen wir, weder Worte noch Aktionen – die nicht die unseren sind – uns anzueignen. Obwohl dieser Satz nicht unsere Autorschaft trägt, spiegelt er zum Teil unser Fühlen als Zapatistas, die wir sind.
Gestützt auf die Sexta gegen diejenigen, die im Moment mit groben Erpressungen und Drohungen – die Skepsis gegenüber der »Macht« der institutionellen Wahlurnen – attackieren, besagt der Satz –der auch die Grenzen und Mängel eines Kampfs um Wählerstimmen aufzeigt – folgendes:
»Unsere Träume passen nicht in ihre Wahlurnen hinein.« Das meinte und meint er.
Wir als Zapatisten und Zapatistinnen, die wir sind, unterschrieben ihn damals… und unterschreiben ihn heute. Er hat die Tugend, mit wenigen Worten viel zu auszusagen (eine heutzutage vergessene Kunst). Aus der Sicht unserer Pasamoñtanas (2) heraus – unseres Sein, was wir sind – fügen wir jedoch hinzu: »…und auch nicht unsere Alpträume.«
Sicherlich, wir könnten: »…und auch nicht unsere Toten« hinzusetzen; jedoch hat sich in diesen unheilvollen Zeiten der Schmerz weit über uns hinaus ausgedehnt. Es trägt nicht mehr nur der natürliche Tod die Verantwortung dafür, uns von denen, die uns heute fehlen, zu entfernen – wie in unserem Fall der Tod des Subteniente Insurgente der Infanterie Hernán-Omar. (Er war bereits vor dem Aufstand Teil von uns und der Krebs entriss ihn uns, seiner Compañera und seinem Sohn – die wir heute, an dem ersten Jahrestag (3) ohne ihn, insbesondere in den Arm nehmen.)
In zunehmender Form sind jetzt Morde, Verschwinden lassen, Knäste und Entführungen für die Verluste verantwortlich.
Wenn Sie arm sind, sind Sie verwundbar, wenn Sie Frau sind, sind Sie noch verwundbarer.
Als ob das System, sich nicht damit zufrieden gäbe, die Frau anzugreifen für das, was sie ist, und sich die makabere Aufgabe stellte, sie ganz auszulöschen. Das heißt, die Frau ist nicht mehr nur lediglich das Objekt von Missbrauch und sexueller Gewalt. Was ist in diesem System passiert, dass nicht nur Vergewaltigung von Frauen, sondern deren Entführung, Verschwinden lassen und Ermordung als »natürlich« bis hinzu »logisch« gelten? (»Aber ja. Sie suchen sich das selbst«, spricht die gesamte Gesellschaft.)
Ja, Frauen. Die Demokratisierung von Frauenhass (4) ebnet die Differenzen von Alter, Ethnie, Hautfarbe, Körperstatur, Gewicht, Glauben, Ideologie, politische oder Nicht-Organisierung ein; alle Differenzen, außer den Klassenunterschieden, lösen sich in einen Hauptmerkmal auf: Frau zu sein.
Und Sie können anderes, entsprechend Ihrer Differenz, hinzufügen: Hautfarbe, Statur, Gewicht, Indígena, Afro-Mexikaner_in (5), Mädchen, Junge, Alte, Alter, Jugendliche, schwul, lesbisch, Transgender – Ihre Art und Weise, welche es auch sein mag. Ja, ein System, das nicht nur darum bemüht ist, das Differente auszusondern, abzutrennen und verächtlich zu machen, sondern jetzt entschieden ist, sie vollkommen auszulöschen. Und nicht nur sie zu vernichten, sondern dies zu tun mit jeglicher Grausamkeit, deren eine Moderne fähig ist. Der Tod tötet weiterhin, jetzt jedoch mit größerem Sadismus.
Nun, was wir sagen wollen: Uns fehlen nicht nur die toten Frauen und Männer, die_der Verschwunden gemachten (und wir schließen hier nicht nur die männliche und weibliche grammatikalische Form ein, sondern alles, was die falsche Gender-Dichotomie überschreitet (6)), die_der Entführten, die_der Eingeknasteten.
Wie viele der Ausentes, der Nicht-Anwesenden von Ayotzinapa passen in eine Wahlurne? In welchem Parteien-Projekt befinden sie sich?
Welches Parteien-Logo lässt sich ankreuzen, wenn man an die denkt, die uns fehlen?
Und es noch nicht einmal die Gewissheit gibt, dass sie starben? Und es nicht nur ihre Abwesenheit ist, die schmerzt, sondern auch die Unsicherheit und Angst, die dazu kommen? (Hat er gegessen? Friert ihm? Ist er krank? Hat er genügend geschlafen? Ist da jemand, der ihn tröstet? Weiß er, dass ich ihn noch suche, ihn immer suchen werde?)
In welchen Ehrgeiz nach einem Amt, einem Posten, einer Regentschaft passen die aus jedem ideologischen Spektrum angegriffenen, verschwunden gemachten, ermordeten Frauen?
Wie vielen Wahlzetteln entsprechen die von der Partei der Nationalen Aktion (PAN) ermordeten Kinder in der Kita ABC?
Wen wählen die Ausgelöschten aller Orte und Zeiten des Mexikos von unten; die Institutionelle Revolutionäre Partei (PRI), ihre schlecht verdeckten Nachbildungen?
In welcher Stimmenzählung tauchen die von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) Verfolgten auf – beschuldigt des Delikts, Jugendliche zu sein ?
In welchen politischen Parteien repräsentieren sich die sexuellen Differenzen, die im öffentlichen wie im privaten Raum verfolgt werden und für die es als Strafe die Hölle im Leben wie im Tod gibt?
Welche institutionellen politischen Parteien beschmutzen mit ihren Logos und Parolen die Mauern, die tausende von Migranten, Männern, Frauen, Kinder überspringen müssen, um in die Hände von Gouverneuren-Kriminellen-Unternehmern des Menschenhandels zu fallen?
Und Sie werden Beispiele in Berichten, Blogs, Reportagen, Zeitungsnotizen, Meinungsartikeln, Hashtags, etc., finden können; und immer wird die Gewissheit zurückbleiben, es gibt mehr kriminelle Taten, die nicht einmal eine öffentliche Erwähnung finden.
Wo befindet sich die Wahlkabine, dass Ausbeutung, Unterdrückung, Beraubung, Verächtlichmachen der Pueblos originarios zum Ausdruck kämen?
In welche Wahlurne legt man den Schmerz und die Wut der…
Yaqui,
Kumiai, Mayo, Cucapá, Tohono O´odham, Raramuri, Kikapú, Pame, Totonaca, Popoluca, Nahua, Maya Peninsular, Binizáa, Mixteco, Hñähñü, Totonaca, Mazateco, Purépecha, Mixe, Chinanteco, Mazahua, Me´phaa, Téenek, Rarámuri, Chontal, Amuzgo, Ópata, Solteco, Chatino, Papabuco, Triqui, Cora, Cuicateco, |
Mame,
Huave, Tepehuano, Matlatzinca, Chichimeca, Guarijío, Chuj, Jacalteco, Lacandón, Comca´ac, Wixárika, Kanjobal, Chontal, Chocho, Tacuate, Ocuilteco, Kekchí, Ixcateco, Motocintleco, Quiché, Kakchiquel, Paipai, Pápago, Cochimí, Ixil, Kiliwa, Aguacateco, Mame, Chol, Tzotzil, Zoque, Tojolabal, Tzeltal? |
Wo hinein passt das alles?
Und wann erhielt die Diktatur des Terrors und ihre perverse Logik – die in alles eindrang und sich
Kriterien und Unteilsvermögen anglich – ihre legale Registrierung, ihren Eintrag?
Ich hatte Glück, sagt jede Frau und jeder Mann, die auf der Straße, zu hause, auf der Arbeit, im öffentlichen Verkehrsmittel überfallen wurden: Ich wurde nicht erschossen-erstochen.
Ich hatte Glück, sagt die verprügelte und vergewaltigte Frau: Sie haben mich nicht entführt.
Ich hatte Glück, sagt das zur Prostitution gezwungene Kind: Sie haben mich nicht lebend verbrannt.
Ich hatte Glück, sagt der Schwule, die Lesbe, der, die Transsexuelle, die_der Andere (7), mit gebrochenen Knochen und zerschürfter Haut: Sie haben mich nicht umgebracht.
Ich hatte Glück, sagt der Malocher, die Angestellte, der Arbeiter – Mehrarbeit und geringerem Lohn unterworfen: Sie haben mich nicht raus geschmissen.
Ich hatte Glück, sagt der gefolterte Anführer von sozialen Kämpfen: Sie haben mich nicht verschwunden gemacht.
Ich hatte Glück, sagt der ermordet auf die Straße geworfene junge Student: Meine Familie wird mich nicht mehr suchen müssen.
Ich hatte Glück, sagt das beraubte Pueblo originario: Sie haben mich nicht vernichtet.
Und mehr davon:
Welche Wahl-Umfrage nimmt von der Zerstörung der Erde Notiz? Wen wählen die vergifteten Gewässer, die bis zum Aussterben in die Enge getriebenen Tierarten, der sterile Boden und die verschmutzte Luft? Wo hinein steckt man den Wahlzettel für eine im Sterben liegende Welt?
Somit haben Sie recht: »Unsere Träume passen nicht in ihre Wahlurnen.«
Jedoch auch nicht unsere Alpträume.
Jede, jeder kann für ihre, seine Träume verantwortlich sein. Es fehlt, den zur Rechenschaft zu ziehen, der für unsere Alpträume verantwortlich ist. Es fehlt das, was fehlt…
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EIN »JA«, EINIGE »NEIN«.
Ja, der ursprüngliche, anfängliche Vorschlag stammt von uns, dem EZeteLeN (8). Wir, Frauen und Männer, machten ihn den Delegiertinnen und Delegierten auf dem Fünften Kongress des Congreso Nacional Indígena bekannt. Dies erfolgte am 9., 10., 11. und 13. Oktober des Jahres 2016 im CIDECI-Unitierra in San Cristóbal de Las Casas, in Chiapas, Mexiko. Es nahmen Delegierte aus Kollektiven, Organisationen, barrios, tribus, naciones und Pueblos originarios (9) der Sprachen amuzgo, binni-zaá, chinanteco, chol, coca, náyeri, cuicateco, kumiai, lacandón, matlazinca, maya, mayo, mazahua, mazateco, mixe, mixteco, nahua, ñahñu, ñathô, popoluca, purépecha, rarámuri, tlapaneco, tojolabal, totonaco, triqui, tzeltal, tzotzil, wixárika, yaqui, zoque und chontal daran teil.
Am 13. Oktober 2016 entschied das Plenum des Fünften Kongresses des CNI, diesen Vorschlag zu dem seinen zu machen und ihn einer Abstimmung, Consulta, unter denjenigen zu unterwerfen, die den CNI bilden. In den Morgenstunden des 14. Oktobers 2016 machten CNI und EZLN diese Entscheidung in dem Dokument, »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe«, öffentlich.
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Nein, der EZLN als Organisation wird nicht – und keines seiner Mitgliederinnen und Mitglieder – mittels eines »populären Wahlamts« an dem Wahlprocedere in 2018 teilnehmen
Nein, der EZLN wird sich nicht in eine politische Partei verwandeln.
Nein, der EZLN wird keine zapatistische indigene Frau als Präsidentschaftskandidatin für die Wahlen in 2018 präsentieren.
Nein, der EZLN hat weder eine »Drehung um wie-viel-Grad-auch-immer« gemacht, noch wird er seinen Kampf auf einem parlamentarischen Wahl-Weg fortsetzen.
Somit: Der EZLN wird keine zapatistische Indígena als Präsidentin der Republik postulieren?
Sie werden nicht direkt an den Wahlen 2018 teilnehmen?
Nein.
Warum nicht? Wegen der Waffen?
Nein. Diejenigen, die denken, es ist deshalb, irren sich komplett: Die Zapatistinnen, die Zapatisten, wir nehmen die Waffen, damit sie uns dienen, und nicht um von ihnen versklavt zu werden.
Nun dann, weil das institutionelle politische Wahlsystem korrupt, nicht gleichberechtigt, betrügerisch und illegitim ist?
Auch wenn es durchsichtig, gleichberechtigt, gerecht und legitim wäre, würden die Zapatistinnen, die Zapatisten, wir, nicht daran teilnehmen, um von einen Posten, einem Amt, einer institutionellen Ernennung aus, die Macht zu erlangen und auszuüben .
Jedoch, unter bestimmten Umständen, aus taktischen und/oder strategischen Fragen würden Sie dann nicht direkt partizipieren, um ein Amt auszuüben?
Nein. Auch wenn die »Massen« es von uns fordern würden, die »historische Situation« unsere »Partizipation« verlangte, auch wenn das »Vaterland«, die »Nation«, das »Volk«, das »Proletariat« (ok, das ist aus der Mode gekommen) es dringlich machte, oder welcher konkrete oder abstrakte Entwurf auch immer, der als Vorwand dienen mag (hinter dem sich persönliche, familiäre, Gruppen- oder Klassen-Ambitionen verbergen oder nicht); auch wenn die Lage, der Einfluss der Sterne, die Prophezeiungen, der Börsen-Index, das Handbuch des Historischen Materialismus, das Buch Popol Vuh, die Umfragen, die Esoterik, die »konkrete Analyse der konkreten Wirklichkeit«, das ratsame Etc. das von uns fordern würden. Nein.
Warum?
Weil der EZLN nicht kämpft, um die Macht zu übernehmen.
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Glauben Sie etwa, man hätte uns früher nicht dies und noch mehr angeboten? Sie hätten uns nicht Ämter, Pfründe, Posten, Botschaften, Konsulate und »All-inclusive-Reisen-ins-Ausland-plus-der -zusätzlichen-Auslagen« geboten? Glauben Sie etwa, man machte uns nicht das Angebot, uns in eine institutionelle politische Partei zu verwandeln, oder uns einer der bereits bestehenden oder sich neu bildenden Parteien anzuschließen, um sich »der Vorzüge von Recht und Gesetz zu erfreuen« (ja, so sagten sie)?
Akzeptierten wir? Nein.
Wir fühlen uns nicht gekränkt. Wir verstehen, dass Ehrgeiz oder Mangel an Imaginationskraft oder der verkürzte Blick, Nichtwissen (und, klar: nicht lesen können) mehr als als einen dazu drängt, in eine institutionelle politische Partei einzutreten, sie zu verlassen, in die nächste einzutreten, wieder auszutreten und eine neue Partei zu gründen; und dann folgt, was folgen mag. Wir verstehen, dass für mehr als einen, eine, weiterhin die Ausrede: »das System von innen heraus zu verändern«, funktioniert
Für uns, Frauen und Männer, nicht.
Jedoch Leitung und zapatistische Truppe betreffend: Unsere abschlägige Antwort der Partizipation betrifft nicht nur die institutionellen Parteien, sondern auch die Autonomie-Formen und Autonomie-Prozesse, die die Comunidades, die Gemeinschaften, schaffen und von Tag zu Tag vertiefen.
Zum Beispiel: Kein Insurgente, keine Insurgenta (10) der Kommandantur oder der Truppe, keine Comandanta oder Comandante des CCRI, des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees, können Verantwortliche innerhalb der Comunidades, der autonomen Landkreise oder anderer autonomen Organisierungsinstanzen sein. Sie können nicht Mitglied der autonomen Räte oder der Räte der Guten Regierungen sein. Sie können nicht Teil der Kommissionen oder anderen Verantwortlichkeiten sein, die per Asamblea, der Vollversammlung, bestimmt werden und die innerhalb des Aufbaus unserer Autonomie, das heißt, unserer Freiheit, geschaffen wurden und werden.
Unser Arbeit, unsere Aufgabe als EZeteLeN ist, unseren Comunidades zu dienen, sie zu begleiten, zu unterstützen und nicht, ihnen zu befehlen. Sie zu unterstützen, dies ja. Manchmal kriegen wir das hin. Und ja, sicherlich, manchmal stören wir. Es sind die zapatistischen Pueblos, Gemeinden, die uns dann einen kleinen Tritt verpassen (oder mehrere) – husch, husch – damit wir Leine ziehen.
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All das wäre nicht nötig gewesen, zu klären oder nochmals zu erklären, wenn es eine aufmerksame Lektüre des Textes mit dem Titel, »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe« – öffentlich gemacht am 14. Oktober 2016 – gegeben hätte.
Nein, wir haben nicht beim Verfassen der Formulierungen teilgenommen. Den Text hat die provisorische Kommission – ernannt durch die Asamblea des CNI – verfasst. Sie gaben ihn uns zur Kenntnis. Wir haben nicht einen einzigen Punkt, nicht ein einziges Komma gesetzt oder gestrichen. In der Form, wie der Text von den Delegiertinnen und Delegierten des CNI geschrieben wurde, machten wir ihn zu dem unseren.
Wie jedoch sichtbar wurde, erkennt der amtliche Analphabetismus weder ideologische Grenzen noch unterschiedliche Parteiabzeichen an. Nun, aus dem gesamten politischen Spektrum quollen Ausdrücke, Bewertungen, Meinungen hervor, die sich zwischen Rassismus und Dummheit bewegen. Ja, wir haben die Übereinstimmung zwischen Intellektuellen der institutionellen Linken, auch der marginalen Linken, und dem Vorkämpfer der PAN für »Feminismus«, »Rechtschaffenheit« und »Sittlichkeit«, für »Inklusion« und »Toleranz«, Diego Fernández de Cevallos, erkennen können. Er, der sich in diesen Tagen – gemeinsam mit der esoterischen Ausgabe von »Gesetz und Ordnung«, Antonio Lozano Gracia – der Arbeit widmet, geflohene Ex?-Gouverneure zu verstecken. Hat irgendjemand das Bild der frenetisch applaudierenden Calderona (11) vergessen, als besagter Fernández de Cevallos – 1994 als damaliger Präsidentschaftskandidat – sich mit dem »liebevollen« Ausdruck: »diese alten Schabracken« (12) auf die Frauen bezog und mit: »Nacktärsche« (13) die Campesinos, die Bauern bezeichnete? Symbolisiert die Calderona das Empowerment der Frauen von oben oder ist sie bloß die Strohfrau eines unbefriedigten Psychopathen (14)? Kann noch irgendjemand damit hinters Licht geführt werden, weil sie sich jetzt mit ihrem »Mädchennamen« präsentiert?
Wie wir weiter unten erzählen werden, gaben die Delegiertinnen und Delegierten des V. Kongresses des CNI zu bedenken, dass der tief verwurzelte Rassismus der mexikanischen Gesellschaft ein Hindernis sei, um die Initiative voran zu treiben.
Wir sagten ihnen, es sei nicht lediglich nur Rassismus. In der politischen Klasse Mexikos gäbe es auch eine tiefe Verachtung. Für sie sind die Pueblos originarios noch nicht einmal ein Hemmschuh, sondern altes Mobiliar, das in die Vergangenheit geworfen werden muss, in dem es mit Popol Vuh-Zitaten (15), vielfarbigen Stickereien und Püppchen aus dem Gelegenheitskauf verziert wird. Die Politik von oben schaut über die Indígenas hinweg, so als wären sie die vergessenen Glasperlen irgendeines Konquistadors oder die anachronistischen Überbleibsel einer in Codices (16), Büchern und »Magister«-Konferenzen aufgefangenen Vergangenheit. Für die institutionelle Politik existieren die Pueblos originarios nicht, und wenn sie »wieder auftauchen« (so nennen sie es), dann ist es das schmutzige Manöver eines perversen und allmächtigen Hirns. Nach 524 Jahren betrachten sie den Indigenen lediglich als unfähig, dumm, unwissend. Wenn die Originarios handeln, dann nur weil jemand sie manipuliert, was auch immer sie denken mögen, irgendjemand muss sie falsch orientiert haben. Für die Politiker von oben aus dem gesamten ideologischen Spektrum wird sich immer ein »Feind von außerhalb« hinter den indigenen Pueblos verbergen.
Die Welt der institutionellen Politik ist nicht nur unglaublich eng und verschlossen, nein, nicht nur das. In ihr regiert auch die »Popularität« über die Rationalität, die Bestialität über die Intelligenz und die Schamlosigkeit über ein Minimum an Anstand.
Dass die Bezahl-Medien die Information verfälschen, um sie in Ware zu verwandeln – Schwamm drüber. Die Reporter müssen ja auf jeden Fall was zu beißen haben. Es ist ja auch nachvollziehbar, die Zeitungsnotiz: Der EZLN wird an den Wahlen mit einer zapatistischen Frau teilnehmen, lässt sich besser verkaufen als die Verbreitung der Wahrheit: Der CNI wird entscheiden, ob er mit einer eigenen Delegierten antritt oder nicht, und wenn ja, kann der CNI auf die Unterstützung des Zapatismus zählen.
Das versteht sich: Die fehlende Information ist auch eine Ware. Reporter und Redakteure haben sich damit ihr tägliches Brot verdient, na ok. (Ja, gern geschehen, Kollegen, nein, nichts zu danken. Sie brauchen dafür nicht… Nein, wirklich nicht. Geschenkt.)
Aber dass Personen – die von sich sagen, sie sind gebildet und nachdenkend, von denen man annimmt, sie könnten lesen und schreiben, und die ein Minimum an Information erhalten, an höheren Studienzentren unterrichten, emeritiert sind, oder ganz sicher ihre Stipendien und Honorare beziehen, herumreisen und ihr »Wissen« verkaufen – nicht das gelesen haben, was das Dokument, »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe«, klar ausdrückt, und alle Arten von dummen Zeug von sich gaben, tja, wie nennt man das – zart ausgedrückt? … Nun gut. Das ist Schamlosigkeit und Scharlanterie.
Als ob die 140 Zeichen und die Blei verglasten Gebäude der Kommunikationsmedien sich bereits in eine Mauer verwandelt haben, die die Realität negiert, ausschließt und für illegal erklärt. Alles, was nicht in einen Twit passt, existiert nicht, sagen sie übereinstimmend. Und die Bezahl-Medien wissen das: »Niemand wird aufmerksam ein sechs DIN A4-Seiten langes Dokument lesen, und somit machen wir ein Resümee – von was auch immer. Die »Meinungsführer« in den sozialen Netzwerken werden es als gesichert annehmen.« Somit präsentiert sich eine Reihenfolge von Unsäglichkeiten, die bereits in eine Twitter-Lösch-Hysterie verfallen ist, und vielleicht den Zusammenbruch des immensen Reichs des blauen Vogels provozieren wird.
Wie hoch wird die Verachtung der Pueblos originarios gegenüber denjenigen sein, die sie verdienen und die ihnen nicht einmal eine Existenz gewähren. Obwohl der Text ganz klar besagt: »eine indigene Frau, Delegierte des CNI«, löschte die Zauberkraft der Dummheit: »des CNI« und ersetzte es durch: »des EZLN«.
Was kam danach? Nun, ein Sturzbach von Positionen, Kommentaren, Meinungen, Kritiken, Disqualifizierungen, likes und dislikes, Daumen hoch, Daumen runter, und nicht wenige ausgestreckte Mittelfinger.
Wenn sich jemand die Mühe gemacht hatte, den Originaltext zu lesen und schüchtern einwarf, die mögliche Kandidatin würde vom CNI und nicht vom EZLN sein – und ergo: Der EZLN nicht derjenige sei, der an den Wahlen teilnehmen würde – fiel alles über ihn her: »Oh nein, all das ist eine plumpe Manipulation des Putzlappen-Gesichts.«
Dann gab es noch diejenigen, die sich fast unmittelbar darüber beschwerten, warum nicht zuerst Chiapas »befreit wurde« (ja, genauso drückten sie sich aus). Ist ja klar, nicht? In Chiapas befinden sich ja auch die Gebiete der Yaquis, Kumiais, Rarámuris, Nahuas, Zapotecos, Mixtecos, Chinantecos, Totonacos, Popolucas, Mayas Penínsulares, Wixáritaris, um nur einige zu erwähnen. Nach dem ersten Spott, versuchten sie sich dann zu korrigieren; zu mindestens konsultierten sie Google, wer verdammt, diese anderen, »vom Wollsocken-Gesicht manipulierten« Indígenas seien. Somit wurden sie gewahr, dass diese nicht in Chiapas überleben (nebenbei gesagt, würde das ja implizieren: Die manipulatorischen Geschicklichkeiten des Verstorbenen haben bereits die Grenzen »der Berge des Südosten Mexikos« überschritten.).
Nachdem ich mich bei Compas Anwälten erkundigt hatte, fragte ich den Subcomandante Insurgente Moisés. Er sagte, nein. Es wird keine Klage vor der CONAPRED (Nationale Kommission zur Verhinderung von Diskriminierung) erhoben: Wegen Verletzung des Ersten Artikels der Politischen Verfassung der Vereinigten Mexikanischen Staaten und wegen Verletzung des Föderalen Gesetzes zur Verhinderung und Eliminierung von Diskriminierung. Es wird vor Gerichten keine Klage erhoben – wegen Verbreitung von »ungenauer oder falscher« Information, die »eine Beleidigung, sei es politisch, ökonomisch, der Ehre, des Privatlebens und/oder des Bilds« zufügt.
Nein, wir wissen nicht, ob der Congreso Nacional Indígena (der nicht wenige Experten der Jurisprudenz in seinen Reihen hat) mit bezüglichen Klagen dagegen vorgehen wird.
Wir wissen auch nicht, ob die Schüler_innen, Leser_innen, Anhänger_innen (der oben Benannten), die ihnen Honorare und Stipendien bezahlen, wegen Täuschung juristisch gegen diese vorgehen werden (Täuschung: Betrug; etwas, was eine Lüge darstellt, den Anschein von Wahrheit geben). Nach dem Paragraphen 386 des Strafgesetzbuchs: »Das Delikt der Täuschung begeht derjenige, der jemanden betrügt oder sich unerlaubterweise eine Sache aneignet, den Irrtum ausnutzend, in dem sich der andere befindet oder einen ungerechtfertigten Gewinn daraus zieht.«
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Nichtsdestotrotz. Es gab, gibt und wird Zweifel und berechtigte, begründete Infragestellungen geben (der größte Teil wird von Compas der Sexta herrühren, aber nicht nur,). Auf diese werden wir, so weit möglich, in diesem Text antworten. Sicherlich werden unsere Worte nicht genügen. Alle Kritiken, die uns betreffen – aus jeglichem politischen und ideologischen Spektrum, die mit einem Minimum von Rationalität, echter Information und Respekt sich äußern – werden wir zur Kenntnis nehmen, annehmen.
Und hier ist es notwendig, allen etwas klar darzulegen: Der Vorschlag befindet sich bereits nicht mehr in den Händen des Zapatismus. Seit dem 13. Oktober 2013 ist der Vorschlag nicht mehr nur der unsrige und wurde auf dem Fünften Kongress des CNI zu einem gemeinsamen Vorschlag.
Und mehr: Seit dem Tag, an dem die Abstimmungen, die Consulta des CNI begonnen haben, korrespondieren Annahme oder Zurückweisung und/oder Modifikation des Vorschlags einzig und allein den Kollektiven, Organisationen, barrios, tribus, Pueblos originarios, die im Congreso Nacional Indígena organisiert sind. Und nicht mehr dem EZLN. Das Ergebnis dieser Consulta und daraus folgende Entscheidungen – falls es sie gibt – werden bei der zweiten Etappe des Fünften Kongresses – während dem 29., 30., 31. Dezember 2016 und 1. Januar 2017, in Chiapas, Mexiko – bekannt gegeben. Oder vorher – falls der CNI dies so entscheidet.
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Klar, Sie/ihr werden/werdet sich/euch fragen, warum wir diesen Vorschlag gemacht haben, wenn wir weiterhin so denken wie zu Anfang unseres Kampfes, und wie wir jetzt noch einmal bestätigt haben. Nun gut, wir erzählen es Ihnen/euch jetzt.
Als der Subcomandante Insurgente Moisés mir mitteilte, es sei an mir, der Sexta zu erklären, fragte ich ihn, wie ich es machen soll. »Auf ganz einfache Art«, gab er mir zur Antwort, »erzähle ihnen, was passiert ist.« Und so werde ich es machen…
EINE KLEINE UND KURZE GENEALOGIE
Wir können nicht das genaue Datum angeben. Beide stimmen wir jedoch darüber ein, es muss zwischen den Jahren 2013-2014 gewesen sein. Obwohl der verstorbene Supmarcos noch nicht gestorben war, war sein Tod bereits beschlossene Sache, der Subcomandante Insurgente Moisés hatte schon die Leitung des EZLN inne, und die ersten Anzeichen der Hydra begannen sich immer deutlicher zu zeigen.
Ich weiß nicht, wie es dort, bei euch ist, hier entspringen die Ideen nicht in einem einzelnen Moment, noch haben sie einen bestimmten Autor oder Autorin. Sie entstehen und dann werden sie hin und her gewälzt, manchmal schaffen sie es, sich in einen Vorschlag zu wandeln, danach zu einer Initiative. Andere, die meisten, bleiben bloße Ideen. Um die Grenze von Idee zu Vorschlag zu passieren, werden Monate, Jahre, manchmal Jahrzehnte gebraucht. Und wenn dies geschieht, genügt es, dass die Idee sich in Worten von jemanden konkretisiert hat, damit sie ihren unebenen Verlauf beginnen kann.
Diese Idee entstand auch nicht in einer außerordentlichen Versammlung. Wenn ihr mich drängt, würde ich sagen, es begann in einer Morgendämmerung mit Kaffee und Tabak. Wir analysierten, was verschiedene Wächterposten entdeckt hatten – und die tiefen Veränderungen, obzwar bereits früher angefangen, sich schon in den zapatistischen Pueblos und Ortschaften manifestierten.
Ich würde sagen, die Idee begann durch den Subcomandante Insurgente Moisés ins Rollen zu kommen. Ich bin mir fast sicher, mir wäre nie so etwas Verwirrendes und Absurdes eingefallen.
Wie auch immer es gewesen sein mag. In dem Moment, wo der SubMoy diese Idee aussprach, fingen wir an, ernsthaft darüber nachzudenken – mit der berühmten zapatistischen Methode des Hin-und Herdrehen und noch einmal das Ganze herumdrehen – bis sie dort ankommt, wohin wir sie haben wollen, das heißt: bis zum »Tag danach«.
Wir beginnen mit dem Prinzipiellen, das heißt, mit den Schwierigkeiten und Hindernissen. Wenn die einen oder anderen groß genug sind, dass sie einer Herausforderung würdig sind, gehen wir zur nächsten Phase über: Was spricht dagegen. Danach, und lediglich danach werden die Pro, was spricht dafür, analysiert. Das heißt, es wird erst entschieden, wenn klar ist, es lohnt sich. Das heißt:
Zuerst kommt das Was, dann folgt alles, was gegen und für das Wie spricht, daraufhin das Wo und Wann (Kalender und Geographie), prinzipiell und zu guter Letzt: Wer.
Das alles ist nicht die Sache von einer Person, sondern es werden währenddessen immer größere Kollektive mit einbezogen. Auf die Weise »vervollständigt« es sich: Zuerst mit den Fragen der »ältesten Komitees« (wir beziehen uns auf die, die am Längsten dabei sind und aus erster Hand unsere Geschichte kennen), dann diejenigen, die die Arbeiten der Organisierungsleitung machen, darauf die »Ersatz-Frauen und -Männer« (das heißt die, die die Jefas und Jefes ablösen werden), und letztendlich diejenigen, die in Ausbildung sind, die »Kandidatinnen und Kandidaten« (das heißt, diejenigen, die sich darauf vorbereiten, die Arbeit zu machen). Ich spreche hier von hunderten von Köpfen, von Überlegungen, von einem Hin und Her der Worte, des Zuhörens. Ich spreche bereits von einem kollektiven Herzen, das sich mehr und mehr ausdehnt, sich immer größer macht.
Der nächste Schritt hat was zu tun mit der Antwort auf die Frage: »Wer wird es machen?« Wenn es die autonomen Verantwortlichen angeht, geht die Abstimmung darüber an sie; wenn es die Comunidades, die Gemeinden, angeht, wird eine allgemeine Befragung gemacht, eine Consulta general: Alle Frauen und Männer stimmen ab. Wenn es keine dieser Instanzen berührt, muss nachgefragt werden, wer es macht, manchmal in indirekter Form, manchmal in direkter. Wenn dieser »jemand« sich zustimmend äußert, wird von allen darüber abgestimmt, ob und wie unterstützt wird.
In diesem Prozess befanden wir uns mindestens zwei oder drei Jahre. Das heißt, die Idee ging und kam, ohne weiter darüber hinauszugehen. Dann sagten sie mir, ich solle eine Sondierung mit uns nahen Leuten machen. Das machte ich.
Eine Zeit danach, als dieses Jahr 2016 anbrach, rief mich der Subcomandante Insurgente Moisés und sagte zu mir: »Es gibt eine Arbeit. Sie muss besprochen werden.«
Der Ton beunruhigte mich: Das letzte Mal als ich ihn hörte, endete ich tot und wieder geboren an einem einzigen Tag – und das vor wenig mehr als zwei Jahren. Nichtsdestotrotz fand ich mich zur Zusammenkunft ein.
Es müsste der 1. Januar 2016 gewesen sein, der 22. Jahrestag des Aufstands. Es war niemand außer uns in der Champa, der Hütte der Generalkomandatur des EZLN, die seit mehr als drei Jahren der SubMoy einnimmt. Der Kaffee war kalt, aber es gab genügend Tabak. Er erklärte es mir in großen Zügen, so wie er es zu tun pflegt: als ob er laut dächte. Er führte die Contra und Pro aus – und wartete dann. Ich begriff, es war jetzt an mir. Wie ich bereits erklärte: Die Idee hatte Zeit gehabt, zu wachsen, und so beschränkte ich mich darauf, die Contra zu bezeichnen und hinter die Pro einige Fragezeichen zu setzen. Das »Wer« bestürmte uns; denn alles, was nicht direkt mit uns, Frauen und Männern, zu tun hat, ist erst einmal ein Rätsel. Als der SubMoy auf meine Frage: »Wer?«, lakonisch antwortete: »Das Geburtstagskind« (meint: den CNI, der 20 Jahre alt würde), verringerte sich das Ungewisse. Denn seit zwei Jahrzehnten kennen wir uns, und der Congreso Nacional Indígena ist die zuverlässigste Initiative, seit wir an das Licht der Öffentlichkeit getreten sind. Der CNI – mit seinen Hoch und Tiefs – blieb seinem Wesen treu; und obzwar sein Schmerz weitab der Kommunikations-medien liegt, repräsentiert er jedoch den durch die Hydra am Stärksten attackierten Sektor.
All das vermehrte trotzdem die Zweifel und Fragen.
»In Wirklichkeit ist es nicht möglich zu wissen, was passieren wird«, sagte ich. »Das wird einige Knoten lösen, sicherlich; was daraus resultiert, ist im besten Falle eine Unbekannte. Wir wissen nicht, ob es der Congreso Nacional Indígena akzeptieren wird; noch weniger wissen wir, ob die Sexta es begreift. Ja, und gut, die von oben denken nicht nach, und werden mit Gift und Galle reagieren, werden Porzellan zerschlagen, was vielleicht nicht mehr zu kitten ist. Es ist sehr riskant. Jetzt, in diesem Moment – wenn ich sehe und analysiere, was da draußen los ist – würde ich dir sagen, es ist wahrscheinlicher, es geht schlecht aus, als als dass es gut geht.«
Der SubMoy stellte die Kaffeetasse zur Seite und zündete sich eine Zigarette an:
»Und deshalb: Hier kommst du ins Spiel. Du weißt gut, unsere Art ist es, uns als erstes darauf vorzubereiten, es ginge schlecht aus. Erinnere dich, wie der Aufstand war und alles, was darauf folgte. Und somit, falls es schlecht ausgeht, brauchen wir…«
Hastig unterbrach ich ihn: »Einen Plan B?«
Er lachte aus vollem Herzen: »Nein, wir brauchen jemanden als Sündenbock – falls es schlecht ausgeht.«
Weit ausholend erzählte der SubMoy einige Szenen des Films: »Das Gesetz des Herodes«. Und als ich dachte, er verweile im Schlussmonolog des Abgeordneten Vargas – (es ist die Geschichte eines mittelmäßigen Typen, der sich zum Kriminellen und später zum Regierenden macht. Kommt euch das bekannt vor?) – bezog er sich auf die Stelle: »Es gibt eine gute Nachricht und eine schlechte.«
(Unnütze Anmerkung: »La Ley de Herodes/Das Gesetz des Herodes« ist ein Film von Luis Estrada; Regieassistenz: Martín Torres; Geschichte und Drehbuch: Jaime Sampietro, Fernando León, Vicente Leñero und Luis Estrada; Kamera: Norman Christianson; Musik: Santiago Ojeda; Maske: Alfredo Mora und Felipe Salazar. Zusammen mit »El Infierno/Die Hölle«, ebenfalls von Luis Estrada – mit dem großartigen Joaquín Cosío in der Rolle des »Cochiloco« – sind das die einzigen Filme, die Jean Claude Van Damme von der Kino-Top-Hit-Liste der zapatistischen Comunidades und Camps (der Insurgentes) verdrängen konnten.)
»Wir müssen zuerst planen, was wir mit der schlechten Nachricht machen werden«, fügte der SubMoy hinzu.
Es brauchte keine großen hellseherischen Fähigkeiten: Mit der schlechten Nachricht war das Scheitern der Initiative gemeint. Und ich beziehe mich damit nicht auf (fehlende) Ja-Stimmen (in den späteren Abstimmungen), sondern darauf dass der CNI die Initiative ablehnen würde – die Initiative, die ihn in den unbestrittenen Protagonisten von etwas verwandeln würde, das Mexiko und die Welt in Staunen versetzen wird.
Der Subcomandante Insurgente Moisés fuhr mit den Details fort:
»Schau mal, das erste, was dem CNI Sorgen machen wird, ist, dass er beschuldigt wird, sein Wort verraten zu haben und sich in die Scheiße begibt, vom Weg abkommt, nachgibt, schwächelt. Dass sie sich vom System überzeugen lassen hätten; Kohle wollten, sprich: die Macht; befehlen und sein wollten wie die anderen. Sie hätten sich ergeben, sich verkauft. Diese Kritiken werden natürlich kommen, aber ich bin sicher, der CNI hat Kopf und Verstand, darauf angemessen zu antworten. Das Problem wird jedoch sein, wer wird ihnen zuhören. Man wird sie sehr stark attackieren und ihnen nicht einmal die Gelegenheit geben, sich zu verteidigen.
Aber dort können wir ihnen die Hand reichen. Wenn wir, das heißt: du, uns so aufstellen, dass wir die Kritiken und Attacken abbekommen, dann wird der CNI nicht nur erkennen können, wer da alles herausplatzt, sondern auch Punkte sehen können, die dafür oder dagegen sprechen. Punkte, die erst nach dem Publik machen, sichtbar werden.«
Er sprach weiter. Fast schuf er ein Wort-Portrait dessen, was in den letzten vier Wochen tatsächlich passiert ist. Er sprach von: Derjenige wird das sagen; der andere wird aus diesem Grund dagegen sein, weil…; das hier wird das Denken des Befehlsgebers sein; diese werden verwirrt sein, jene werden Hoffnung schöpfen; andere ihre Geierflügel spreizen; und die da werden es voll unterstützen, weil sie ganz genau verstehen, was auf dem Spiel steht.
Nach einigen Stunden der Fragen und Antworten meinte ich: »Aber dafür ist es nicht notwendig, dass ich dabei bin. Dafür werden einige Kommuniqués und vielleicht irgendein Interview ausreichen. Die Medien sind so, sie werden denken, es hat sich nichts verändert, man kann das Gleiche machen. Und die von oben, nun, sie sind so berechenbar, dass sie fast zu vernachlässigen sind. Sie werden ankommen mit dem Schlagwort vom Protagonismus, der Manipulierung, der Spaltung. Das ja, sie werden sich auf eine Person konzentrieren, damit hast du recht. Jedoch, ich wiederhole, dafür ist es nicht notwendig, dass ich daran teilnehme. Eher ist es so: Sie sind solche Hohlköpfe, selbst wenn ich nichts sage, werden sie gegen mich angehen.«
»Nein«, widersprach der SubMoy, »den Vorschlag musst du präsentieren. Nicht nur werden sie denken, wenn sie dich sehen, es sei deine Erfindung und damit fällt das Contra in sich zusammen, sondern auch und vor allem: die Compas des CNI müssen verstehen, es ist nicht lediglich etwas, das mit den Pueblos originarios zu tun hat. Es ist größer, sehr groß.«
Dann, nachdem er sich noch eine Zigarette angezündet hatte, fügte er hinzu:
»So groß, oder größer, als der Erste Januar 1994.«
Das war eine durchaus ernst gemeinte Aussage; vor allem von demjenigen, der sie aussprach.
Der Subcomandante Insurgente Moisés ist nicht nur Kriegsveteran (17), er kam auch zum EZLN lange Zeit vor dem Kriegsbeginn. Am 1. Januar 1994 war es an ihm, den Befehl über ein Regiment übernehmen zu müssen und den Platz der Bezirkshauptstadt Las Margaritas einzunehmen. Während dessen trug er den bereits leblosen Körper des Subcomandante Insurgente Pedro. Jahre später waren die zapatistischen Comunidades sein Aufgabenbereich. Am 26. Oktober 2010 wurde er zum Subcomandante Insurgente ernannt, dem höchsten Grad innerhalb der militärischen Hierarchie des EZLN. Im Jahr 2012 – am »Tage des Weltenendes« – (18) war er es, der die stille, schweigende Mobilisierung von über 40.000 zapatistischen Männern, Frauen, Kindern und Alten – die die Welt an diesem Datum überraschte – organisierte und koordinierte. Am 14. Februar 2013 übernahm er die Sprecherfunktion und die Leitung des Zapatismus. Seit damals benötigt jegliches unserer öffentlichen Worte und jede nationale oder internationale Initiative seine Zustimmung.
Und er hatte und hat recht: Dieses Unterfangen ist so, ja, so schrecklich und wunderbar, dass es größer sein könnte als jener Erste Januar des Jahres 1994 – der uns so unauslöschlich geprägt hat.
»Auch wenn der CNI diesen Vorschlag zurückweisen würde; allein schon darüber nachzudenken, zu diskutieren, in Dialog zu treten, wird nicht mehr das Gleiche hinterlassen; denn es wird vom »Das haben sie uns getan« zum »Wir werden etwas tun« übergehen; und das führt bereits zu einem anderen Denken«, sprach der Subcomandante Insurgente Moisés weiter.
»Und sie, Männer und Frauen, werden nicht allein sein«, meinte er fast am Ende. »Außer uns, Frauen und Männer, werden sie an ihrer Seite auch die Künste und die Wissenschaften haben.«
Bevor ich mich zurückzog, fragte ich ihn, warum es gerade der Congreso Nacional Indígena sei. Der Subcomandante Insurgente Moisés erhob sich, um mich bis zum Ausgang zu begleiten und gab mir zur Antwort:
»Weil sie die einzigen sind, die das machen können, was wir nicht tun können.«
Danach geschah das, was geschah. Die demokratische Lehrer_innenschaft unterschrieb ihre Rebellion; die Pueblos originarios erlitten Angriffe, Beraubungen, Verachtung; die Hydra verschlang weiterhin Welten; das CompArte explodierte in Farben, Tönen, Formen und Bewegungen, die das Präludium des Danach kommenden waren: ein schreckliches und wunderbares Beben.
Noch am Vorabend (des Kongresses) fragte ich den Subcomandante Insurgente Moisés, ob es irgendeine Veränderung gäbe.
»So wie wir es immer sagten: Mach’ dich bereit, los zu gehen«, antwortete er mir lediglich.
Wir erreichten am 9. Oktober den CIDECI als das Licht des späten Nachmittags sich bereits zwischen den Bäumen und Häusern verlor. Später, als die Nacht sich als Gebieterin über die Kalender und Geographien ausgebreitet hatte, kamen nach und nach die Delegationen des CNI an. Der Weg war nicht kurz, den sie zurücklegen mussten, um hier anzukommen.
Wir haben aufmerksam alle und jeden der einzelnen Prozesse innerhalb des CNI verfolgt, sein öffentliches und sein privates Wort. Der CNI ist der einzige Ort, wo die Originarios sich Gehör verschaffen können. Wir wussten schon, dass zu der Zahl der Ermordeten, Verschwunden gemachten, Eingeknasteten, Geschlagenen, jetzt der Tod ganzer Landgebiete hinzuzurechnen ist.
»Wenn das Land eines Pueblo, nación, tribu, barrio originario geraubt oder zerstört wird, dann sterben mit ihm die Originarios, die dort ihre Wurzeln und Wohnstätten hatten. Und wenn ein Pueblo originario stirbt, wird eine Welt ausgelöscht«, sagte der große Tata, Juan Chávez Alonso, ein Purépecha-Indígena, der ein Lehrer und Wegweiser des CNI und des EZLN war.
Daher wussten wir bereits, dass es in den Arbeitsgruppen und Referaten auf diesem Kongress weniger Welten geben würde. Es waren nicht wenige, die kommen würden, um Abschied zu nehmen, ohne es bereits jetzt zu wissen.
»Man muss jetzt anfangen«, sagte der Subcomandante Insurgente Moisés zu mir, »man muss die Last aufteilen…«
EIN VORSCHLAG ENTSTEHT
Am 9. Oktober 2016, bereits Nacht, baten wir um einige erste Zusammenkünfte mit denen, die angekommen waren. Wir versammelten uns in einem separaten Raum der CIDECI-Unitierra. Die zapatistische Delegation setzte sich den bereits angekommenen Delegiertinnen und Delegierten des CNI gegenüber. Erlauben Sie mir/erlaubt mir, dass ich ein wenig über die zapatistischen Delegation spreche. Sie bestand aus 34 Personen, 17 Frauen, 17 Männern, davon lediglich 7 »Alte«, der Rest der 27 waren Comandantas und Comandantes, die noch Kinder oder Jugendliche gewesen waren, als wir uns am 1. Januar 1994 erhoben.
Wir begrüßten uns alle mit einem Händedruck. Alle setzten sich, außer dem Subcomandante Insurgente Moisés und mir. Er gab mir ein Zeichen.
Ich begann zu sprechen, versuchte mich alldem zu erinnern, was wir vorher besprochen hatten. Ich erklärte mit mehr oder weniger Worten das, was ich am nächsten Tag, den 10. Oktober, im geschlossenen Plenum und später, am 13. Oktober, im offenen Plenum wiederholen würde:
»Wir denken, wir müssen als CNI und EZLN eine Entscheidung treffen. Wir müssen entscheiden, ob dieser Fünfte Kongress so wie die anderen Treffen sein wird, wo wir von unseren Schmerzen sprechen, von unserem Widerstand erzählen, und uns beschweren, das System verfluchen, erklären, dass wir uns nicht ergeben werden, und wir gehen wieder weg, jede, jeder zu ihrem, seinem Land, um weiterhin die Aggressionen, Beraubungen, Ungerechtigkeiten, Tode zusammen zu rechnen.
Unser Schmerz erreicht jedes Mal weniger Leute. Unsere Tode erhalten nicht mehr das Echo wie früher. Jedoch nicht weil die Leute von außerhalb zynischer oder apathischer geworden wären. Es ist so, der Krieg, den wir als Pueblos originarios schon seit Zeiten erleiden, ist jetzt auch in ihren Straßen, Schulen, da wo sie wohnen und arbeiten, angekommen; er ist bereits da. Unsere Schmerzen stellen jetzt Schmerzen neben vielen anderen dar. Und obwohl der Schmerz sich ausbreitet und heftiger, tiefer wird, stehen wir mehr allein als jemals zuvor. Jedes mal werden wir weniger sein.
Bald wird der CNI sich nicht mehr versammeln können, weil er aus seinen Gebieten nicht mehr herauskommt, sei es weil die Unkosten oder die schlechte Regierung, die Kriminalität oder natürlicher oder schlechte Tod dies verhindern. Später werden wir dann nur noch unter uns selbst sprechen können, bereits wissend, was wir sagen werden.
Sie, Delegiertinnen und Delegierte des CNI, sind hier, weil man Sie beauftragt hat, Ihre Pueblos, naciones, tribus und barrios suchen Unterstützung, Wort und Gehör, was sie entlastet und stärkt. Sie kommen, um zu sprechen und zuzuhören. Sie sind ihren Pueblos verpflichtet, sonst niemanden. Um alles steht es sehr schlecht, und Sie und wir wissen, dass es noch schlimmer wird. Sie müssen etwas tun.«
Ich erzählte ihnen dann eine Anekdote, die dem verschiedenen Supmarcos während der Otra Campaña, der Anderen Kampagne vor zehn Jahren, widerfuhr.
Der Supmarcos erzählte, wie er sich mit einem der indigenen Anführer einer Nación, dort im Nordwesten Mexikos getroffen hatte. Wie andere Male wurde der Verstorbene auch dieses mal kritisiert, denn besagter Jefe hatte zuvor auch Vertreter der offiziellen Regierungen empfangen. Der Verstorbene meinte dazu, man hätte ihn nicht los geschickt, um zu urteilen, zu verurteilen oder freizusprechen, sondern er müsse zuhören, weil eines Tages würde es gebraucht werden. Der Jefe indígena empfing ihn separat und im Privaten.
Er sprach zu dem Verstorbenen: »Ich weiß sehr gut, sie wollten nicht, dass du dich mit mir triffst. Sie setzten dich unter Druck, damit du nicht hierher kommst. Mich setzten sie auch unter Druck, damit ich dich nicht empfange. Ich weiß nicht, warum du hier bist. Ich stelle mir vor, diejenigen, die dich gesandt haben, sagten, du solltest uns sehen und uns zuhören. Ich weiß es nicht. Aber ich werde dir sagen, warum ich dich empfange. Ich habe Regierungsmitglieder aller Couleur und Formate empfangen. Sie kamen an, machten ihr Foto, sagten ein paar Worte, dann gingen sie wieder und kamen nicht mehr zurück. Ich habe sie empfangen, weil meine Vorgänger mir sagten, meine Pflicht sei, dafür zu sorgen, dass meine Leute, mein Pueblo nicht stirbt sondern überlebt. Darum habe ich jene empfangen, und darum empfange ich dich. Ich glaube ja nicht, dass du mir Rat oder Lehren bringst; aber es ist schon gut, du willst keine Fotos und hörst zu anstatt zu sprechen. Jene habe ich empfangen, weil ich dachte, dass so mein Pueblo länger lebt und nicht stirbt. Darum empfange ich dich, weil ich denke, etwas von dem, was wir sind, wird gesehen und dieser Blick, wenn auch nur für kurze Zeit, wird meinem Pueblo helfen zu überleben.«
Der Verstorbene hatte sich alles in sein Notizheft geschrieben, deshalb hatte er den exakten Wortlaut des Jefe indígena.
Nach diesen Worten schwieg der Jefe. Der Verstorbene bat ihn, um die Erlaubnis zu sprechen. Es wurde ihm gewährt. Er sagt mit mehr oder weniger Worten (er notierte sie nicht in seinem Heft, da er nicht gleichzeitig aufschreiben und sprechen konnte): »Danke für den Empfang. Ich habe nur eine Frage: Sorgt es Sie nicht, sich zu irren, das heißt: Die schlechten Regierungen oder mich zu empfangen, würde Ihrem Pueblo nicht helfen, nicht zu sterben, und sie könnten somit als ein schlechter Anführer beurteilt werden?«
Der Jefe indígena wartete, ob dies die komplette Frage war, dann antwortete er: »Mich kann nur mein eigener Pueblo beurteilen. Wenn mein Pueblo das, was ich machte und mache, verurteilt, besagt das, ich habe mich nicht geirrt. Denn um mich zu beurteilen und zu verurteilen, dafür muss mein Pueblo überlebt haben. Damit habe ich meine Pflicht erfüllt und werde den Toten eine gute Abrechung präsentieren können, obwohl die Lebenden mich verurteilen.«
Hier endete die Anekdote des Verstorbenen. Ich fuhr fort:
»Deshalb müssen Sie klar haben, wem Sie verpflichtet sind. Dem EZLN schulden Sie nichts. Auch nicht der Sexta. Niemandem außer Ihren eigenen Pueblos, die sie repräsentieren. Sie müssen etwas tun, denn bald wird es für viele nichts mehr geben, und es wird zu spät sein.«
Wir sagten ihnen, sie müssten etwas tun, sie seien ihren barrios, tribus, naciones, Pueblos originarios, ihren Kollektiven und Organisationen verpflichtet.
Wir sagten ihnen, sie sollten irgendetwas tun, was auch immer es wäre. Wenn sie es notwendig fänden, sollten sie in MORENA eintreten (diese Worte wurden aufgezeichnet und die anwesenden Delegiertinnen und Delegierten können es verifizieren; es war von unserer Seite aus, das einzige Mal, dass wir diejenigen erwähnten, die später – vor allen anderen – den Vorschlag als unrechtmäßig erklärten und verurteilten; und Dummheit, Rassismus, Intoleranz, Verachtung und offene Schizophrenie zu Schau trugen.). Ja, die erste Option, die der Zapatismus dem CNI präsentierte, war, die Parteien-Bewegung zur nationalen Erneuerung (MORENA) zu unterstützen, oder in irgendeine andere Partei einzutreten, oder eine eigene Partei zu gründen.
Und dass wir – in all diesem – ihnen nicht folgen würden; aber wir verstünden, warum sie es machen würden; und sie würden unsererseits keine Urteile und Verurteilungen erhalten.
Und falls der EZLN stören sollte, sollten sie die Beziehung zu uns kappen.
Ich brauche Ihnen/euch nicht zusagen, bei jeder dieser Optionen machten die Delegiertinnen und Delegierten Handbewegungen als würden sie lästige Fliegen verscheuchen. Alle, Frauen und Männer, schwiegen. So machte ich weiter:
»Machen Sie was. Dies oder anderes.«
An dieser Stelle drehte ich mich zum Subcomandante Insurgente Moisés um; er machte eine Geste, ich solle fortfahren.
»Wir werden Ihnen etwas anderes vorschlagen: Wir werden attackiert – mit Tod, Verschwinden machen, Entführungen, Verhaftungen, Raub, Ungerechtigkeiten, vollkommen zerstörten Gebieten, und andere Gebiete auf dem Weg zur Auslöschung. Wir sind eingekesselt, ohne Hoffnungen, ohne Kräfte, ohne Unterstützungen, schwach, in den letzten Zügen. Für die Politiker und die Medien – auch wenn sie der Linken angehören oder fortschrittlich sind – existieren wir nicht.
Dermaßen, dass wir, Zapatistinnen und Zapatisten, denken: Es ist der Moment in die Offensive zu gehen. Die Zeit des Gegenangriffs ist gekommen. Und man muss jetzt eines der Herzen des Systems beginnen anzugreifen: Die Politik von oben.
Deshalb schlagen wir vor, dass der CNI eine Junta de Gobierno Indígena/Rat der indigenen Regierung bildet (so nannte es sich in unserem Original-Vorschlag; bereits in der Asamblea, der Vollversammlung des CNI, nach dem Vorschlag einer magonistischen (19) indigenen Delegation aus Oaxaca, wurde es in Consejo Indígena de Gobierno/Indigener Rat der Regierung (20) umbenannt), ein Kollektiv aus Delegierten des CNI formiert, das danach strebt, das Land zu regieren, und sich bei den Präsidentschaftswahlen 2018 mit einer indigenen Frau des CNI – als unabhängige Kandidatin – präsentieren wird.«
Nein, angesichts dieses Vorschlags machten die Delegiertinnen und Delegierten keine Handbewegungen als ob sie ein störendes Insekt vertreiben wollten, sondern sie empörten sich frei heraus. Einige ärgerte dieser Vorschlag sehr (nun gut, besser ausgedrückt: Sie waren wütend und regten sich auf.) Andere meinten, das wäre wohl ein schlechter Scherz, der einen nicht zum Lachen brächte, sondern Magenschmerzen verursache. Jedoch die Mehrheit bewahrte Ruhe.
Ich sollte Ihnen/euch sagen, im Verhalten der Originarios bedeutet Ruhe, Stille nicht Zustimmung, Überzeugtsein oder Fehlen der Argumente. Es bedeutet, sie hören zu – und obacht, denken nach und analysieren, bevor sie sprechen (ja, mehr als einem, einer würde es gut anstehen, dieser Methode zu folgen).
Warum hörten sie uns zu? Warum betrachten wir uns als Brüder und Schwestern? Der gegenseitige Respekt, den wir für einander haben, ließ sie uns zuhören bis zum Schluss.
Und sie verstanden, dass es nicht nur ein Einfall war, sondern eine Idee, die zu einem Vorschlag werden könnte. Und sie begannen, darüber nachzudenken.
Nach einer langen Stille begann jemand, indem er sagte: »Ich denke, derart können wir den CNI wieder aufbauen, die Initiative würde die Indígenas wieder sichtbar machen. Denn, das muss man klar aussprechen, Compas, für die politische Klasse existieren wir nicht. Nicht einmal mehr als Objekt von Almosen finden wir Erwähnung. Und ich glaube, mit diesem Vorschlag könnetn wir uns nicht nur mit anderen Indígenas treffen, sondern mit viele Leuten von unten, die geschunden sind. Im ganzen Land gibt es viel Missvergnügen, und es gibt keine Alternative weder für Indígenas noch Nicht-Indígenas. Klar, dem Vorschlag stehen einige Sachen entgegen; wir müssen sie ernsthaft analysieren.«
Jemand anderes übernahm das Wort und sprach von zwei Contra-Punkten: Den Rassismus, den es in der mexikanischen Gesellschaft gibt, und dass man sie dafür kritisieren und angreifen wird, sie suchten die Macht. Beide Punkte wurden in den späteren Bewertungen wiederholt. Nein, weder in dieser Zusammenkunft, noch in den nachfolgenden erwähnte jemand als Kontrapunkt, man würde sie beschuldigen, »die Linke spalten zu wollen.«
So war es, als die Idee begann, nicht mehr allein die unsere zu werden. So ist es, als der CNI anfing, sie zu überdenken und sie zu der seinen zu machen. Das Wort weitete sich immer mehr aus. Bald schon waren alle Delegation am Nachdenken, Meinungen und Bewertungen am Abgeben. Die absurde Idee begann, sich in einen kollektiven Vorschlag zu verwandeln.
In der geschlossenen Plenar-Vollversammlung am 10. Oktober und in den Arbeitsrunden am 11. Oktober gingen die Worte hin und her. Ohne ihren Auftrag als Delegationen zu vernachlässigen, wurde das öffentliche Anzeigen jedoch nicht mehr zum Hauptthema. Die Möglichkeit zur Offensive überzugehen, wandelte sich zum wichtigsten Punkt. Diejenigen, die als als Beobachtende – einige Compas der Sexta – an den vier offenen Arbeitsrunden teilnahmen, bewegten sich – als es um das Thema, den Vorschlag ging – unruhig auf ihren Sitzen; sie schauten sich gegenseitig an (sie konnten nicht sprechen, nur zuhören); drehten sich zur zapatistischen Delegation um. (Wir hatten uns aufgeteilt, um alle vier Arbeitsrunden abzudecken, und damit exakt alle Anzeigen und Erfahrungen der CNI-Delegationen notieren zu können). Mehr als einer, eine, einEr ging mit ausdrücklichem Ärger.
Eine fieberhafte Bewegung durchlief kleine wie große Versammlungen. Wer konnte, rief sein Pueblos an, um ihm zu erzählen, was diskutiert wurde und um Meinungen, Ansichten zu bitten. Pro und Contra waren analysiert und diskutiert. Es wurden von beiden Punkten Listen gemacht. Es wurde abgewägt. Man suchte die Antwort auf eine Frage: »Würde es der Mühe lohnen?«
Die Idee war nicht mehr die des EZLN. Es war bereits die des CNI. Im kollektiven Herzen der Pueblos originarios vergrößerte sich das Echo der Eingangsworte – im Namen aller Zapatistinnen und Zapatisten – des Subcomandante Insurgente Moisés:
»Jetzt ist die Stunde des Congreso Nacional Indígena. Damit durch seinen Schritt die Erde im Zentrum erbebe, durch seinen Traum Zynismus und Apathie danieder liegen, in seinem Wort sich die Stimme derjenigen erhebe, die ohne Stimme sind, mit seinem Blick die Finsternis sich erhelle, und in seinem Zuhören sich der Schmerz derjenigen berge, die sich alleine denken, in seinem Herzen die Verzweiflung Trost und Hoffnung finde, und seine Herausforderung die Welt erneut in ein Staunen versetze.«
-*-
Aber es fehlte das, was fehlte.
Außer die Pro und Contra auszuwerten, musste dem CNI klar werden, welche Rolle der Zapatismus innerhalb dieser Initiative haben würde.
Rechtzeitig hatten der Subcomandante Insurgente Moisés und das Geheime Revolutionäre Indigene Komitee (CCRI) ein kleines Fest zu Ehren des Jubilars – dem Congreso Nacional Indígena – organisiert – der an diesem 12. Oktober seit 20 Jahren Behausung, Gehör, Wort und Echo der Pueblos originarios Mexikos darstellt.
Der Ort? Der Caracol in Oventik, in den Bergen des Südosten Mexikos.
Man empfing die Delegationen des CNI gemäß dem zapatistischen Protokoll für spezielle Gäste. Klar, es gab eine zusätzliche Anstrengung, um diesen Besuch zu ehren. Nicht alle Tage können wir unsere nächsten Familienmitglieder empfangen, die mit den zapatistischen Pueblos Herkunft, Schmerz, Wut, Widerstand und Rebellion gemeinsam haben. Das heißt: die Geschichte.
Am Anfang verstand ich nicht, warum der Subcomandante Insurgente Moisés in dieser Form die Anordnung der Gäste gestaltet hatte: Auf dem Haupt-Podest waren die Delegationen des CNI und gegenüber stellte er ein kleines Podium auf, wo sich die zapatistische Leitung, angeführt von ihm, versammelt hatte.
Ich konnte alles sehen, weil ich mich von einer Seite zur anderen bewegte, um die Compañeras und Compañeros des CNI zu überzeugen, auf die Bänke zu steigen, um besser sehen zu können.
»Aber ich habe Schlamm an meinen Schuhen, und ich werde damit die Bank schmutzig machen«, argumentierte einer der Delegiertinnen. »Compañera«, sagte ich zu ihr, »was es hier im Überfluss gibt, ist Schlamm. Sie brauchen sich deshalb, nicht zu sorgen.«
Der CNI ernannte eine indigene Frau als Delegierte, um während der Feierlichkeiten das Wort zu ergreifen. Zum Willkommen sprach der Comandante David. Danach die Compañera des Congreso Nacional Indígena. Sie sprach wie man unter Familienangehörigen spricht, mit dem Herzen in der Hand, frei heraus. Ich werde weder ihre Worte noch die späteren des Subcomandante Insurgente Moisés, im Namen von uns allen, wiederholen. Die Compañera des CNI wollte sich bereits zurückziehen, als der Subcomandante Insurgente Moisés sie bat zu bleiben.
Dort verblieb die Compañera während des ganzen Festaktes, eingerahmt von der zapatistischen indigenen Leitung, den Delegationen des Congreso Nacional Indígena gegenüber stehend.
Somit begriff ich.
Ich schaute von der einen Seite, jedoch in der Sicht-Perspektive der Delegationen des CNI, die sehen konnten, wie einw Frau, eine Indígena wie sie, vom Congreso Nacional Indígena wie sie, begleitet wurde von der höchsten Autorität des EZLN, sie deckend, schützend, begleitend, unterstützend, markierend was uns zu Unterschiedlichen macht – und zu Compañeras und Compañeros.
Es war so, als ob der Subcomandante Insurgente Moisés mit diesem symbolhaften Bild, die Frage beantworten würde, die die Delegationen des CNI seit dem ersten Tag durchlief: »Welchen Platz wird der EZLN innerhalb der Initiative einnehmen, wenn sie bestätigt wird?«
Später gab es Tanz- und Theaterstücke, Lieder und Poesie.
Zum Schlussakt präsentierte eine zapatistische Milizen-Kompanie ein vollständiges Kommuniqué, ohne dabei ein Wort zu verlieren.
Danach? Das Essen: Rindfleisch und Truthahn, zur Auswahl, Pozol und Kaffee. Später gingen alle.
Am nächsten Tag, dem 13. Oktober, war die Beschluss fassende Vollversammlung…
WARUM?
Der 13. Oktober begann unter guten Vorzeichen: Eine der Arbeitsrunden hatte noch kein Ende gefunden und die Eröffnung der Plenar-Vollversammlung verspätete sich. Nachher begann man mit der Präsentation der Referate. Ja, eine der Arbeitsgruppen war mit der Abschrift, der Transkription noch nicht fertig. Die Verspätung pflanzte sich fort, wie es bei jeder wichtigen Entscheidung sein sollte. Oh, ich weiß es. Vergeblich werden wir sagen: Wir sind die ständig aktualisierte Software der »Rebellion der Gehenkten« (21).
Auf Anweisung des Subcomandante Insurgente Moisés setzte sich die zapatistische Delegation währen der drei Plenar-Vollversammlungen (der geschlossenen und bei Eröffnung und Schluss) nach hinten, in den Auditoriumshintergrund im CIDECI-Unitierra. Somit wurde klar gemacht, worum es ging: Es war die Stunde des Congreso Nacional Indígena.
Als schließlich der Punkt: »Vorschläge zur Stärkung des CNI« erreicht wurde, bat der Subcomandante Insurgente Moisés für die zapatistische Delegation ums Wort. Dies wurde ihm gewährt und der SubMoy ging nach vorne. Er begann seine Worte mehr oder weniger so:
»Mir wurde von einem Film erzählt, der sich, glaube ich, »Das Gesetz des Herodes«, nennt (allgemeines Gelächter, außer meinem merkwürdig verzogenem Gesicht, weil ich ja schon wusste, was jetzt kommen sollte). Also, in diesem Film, den man mir erzählte, gibt es eine Szene, wo der Vargas sagt: Ich bringe eine gute Nachricht und eine schlechte (stärkeres allgemeines Gelächter; verstärktes seltsames Grimassen schneiden bei mir). Nun, wir müssen also sehen, wie wir mit der schlechten Nachricht umgehen werden. Das heißt, auf wen wir die Schuld schieben können, wenn es schlecht ausgeht. Somit möchte ich den SupGaleano bitten, dass er vortritt und den Vorschlag darlegt (verstärktes allgemeines Gelächter; keinerlei Gesichtsverrenkung mehr).«
Ich ging nach vorne. Nachdem ich erklärt hatte, mit viel Vergnügen meine Arbeit als »Sandsack« oder als »Plan B« zu übernehmen, für mich Kritiken und Beleidigungen ein mächtiges Aphrodisiakum darstellen (nun gut, ich drückte es etwas weniger blumig aus, aber im gleichen Tenor), sagte ich das, wozu ich beauftragt war. Ich werde es nun in zusammengeraffter Form wider geben, es sind ja bereits einige Seiten vergangen, und wenn Sie bis hierher gekommen sind, verdient das ein wenig Rücksichtnahme. Außerdem wissen Sie ja schon, warum der EZeteLeN diesen Vorschlag machte und warum an den CNI.
Wir insistierten als erstes darauf, in unserem ursprünglichen Vorschlag sei von einer indigenen Frau, Delegierte des CNI, einer Indígena, die ihre Sprache spricht und ihre Kultur kennt, die Rede. Wir begannen damit, weil der Bezug auf »eine Frau« sich in den Besprechungen und Arbeitsgruppen nach und nach aufgelöst hatte. Zuerst wurde dazu übergegangen: »Kandidatin oder Kandidat« zu sagen, danach: »Kandidat oder Kandidatin«, dann blieb nur: »der Kandidat« übrig.
Dann erinnerten wir daran, wir könnten hier auf dem V. Kongress, keinen Beschluss fassen,
denn seit Entstehung des CNI gäbe es die Vereinbarung, dass er diejenigen, die den CNI bilden, über die bei den Treffen präsentierten Vorschläge, befragen müsse. Die sieben Prinzipien verpflichten den CNI, sich selbst zu befragen – jeder, jede nach seiner, ihrer jeweiligen Art und Form.
Wir sagten danach, was wir bezüglich der Initiative glauben:
Der Indigene Regierungsrat sollte gebildet werden von Delegierten und Delegiertinnen aus allen Kollektiven, Organisationen, barrios, tribus, naciones und Pueblos originarios des Congreso Nacional Indígena.
Sie werden nicht gewinnen, weil das Wahlsystem Mexikos zum Nutzen der politischen Parteien und nicht für die Bürger_innen gemacht wurde.
Falls sie gewinnen, werden sie nicht anerkannt, denn der Betrug ist innerhalb des mexikanischen Wahlsystems keine Anomalie, sondern seine Stütze und Essenz.
Wenn sie gewinnen und anerkannt werden, werden sich nichts Welterschütterndes machen können, weil dort oben gibt es nichts zu machen. Die fundamentalen Fragen dieser malträtierten mexikanischen Nation werden weder in der Exekutive noch in der Legislative oder Judikative entschieden. Der Befehlsgeber hat kein sichtbares Gesicht und arbeitet und beschließt in den Katakomben der internationalen Finanzmächte.
Und nicht trotz all dem vorherig Gesagten – sondern genau wegen alldem könnten und sollten sie es machen.
Denn ihre Aktion würde nicht nur ein Zeugnis des Nicht-Einverständnis bedeuten, sondern eine Herausforderung sein, die sicherlich ein Echo bei den vielen Unten in Mexiko und der Welt finden wird. Sie könnte eine kämpferische Reorganisierung der Pueblos originarios und auch der Arbeiter, Bauern, Angestellten, Kleinhändler, Lehrer, Studenten schaffen – letztendlich all dieser Leute, deren Schweigen und Unbeweglichkeit nicht gleichbedeutend mit Apathie sondern Ausdruck des Mangels an Alternativen sind.
Als Replik auf das, was gesagt wurde: Es wäre nicht möglich, spräche viel dagegen, wäre nicht zu gewinnen, gaben wir zurück: Wenn wir uns am 31. Dezember 1993 getroffen hätten, und wir hätten ihnen gesagt, wir würden uns in einigen Stunden in Waffen erheben, der schlechten Regierung den Krieg erklären, die Polizei- und Militär-Kasernen angreifen, dann hätten sie uns wohl auch gesagt: Es wäre unmöglich, vieles spräche dagegen, es wäre nicht zu gewinnen.
Wir sagten ihnen, es wäre gleichgültig, ob sie die Präsidentschaft gewinnen oder nicht, was zählte, sei die Herausforderung, die Unehrerbietigkeit, der Ungehorsam, die vollkommene Erschütterung des Bildes vom Indigenen als Objekt von Almosen und Mitleid (ein Bild, das so stark verwurzelt ist in der Rechten, und wer es aussprechen mag: auch in der institutionellen Linken des »wahren Wandels« und ihrer organischen Intellektuellen, die süchtig sind nach dem Opium der sozialen Netzwerke). Ihre Kühnheit würde das gesamte politische System ins Schwanken bringen und Echos der Hoffnung erzeugen, nicht nur in einem sondern in vielen der Mexikos von unten… und der Welt.
Wir sagten ihnen, die Initiative käme frühzeitig genug, damit sie mit aller Freiheit und Verantwortung entscheiden könnten, bis wohin und wie weit sie sie tragen.
Wir sagten ihnen, sie könnten in jedem Moment entscheiden, was tun; denn es sei ihr Schritt. Das Ziel, das sie markierten, zerbreche alle Schemata vor allen Dingen derer, die damit prahlen und meinen, die Avantgarde des Wandels und der Revolution zu sein.
Wir sagten ihnen, wenn sie bereit wären, eine rassistische Gesellschaft herauszufordern, müssten sie darüber hinaus gehen und auch ein patriarchales und machistisches (was nicht dasselbe ist; das können diejenigen deutlich machen, die sich im feministischen Kampf organisieren) System herausfordern.
Wir sagten ihnen, die zapatistischen Comandantas meinten, sie könnten sich um die Unterstützung der Compañeras, die Teil des Indigenen Regierungsrats sein werden, kümmern. Auch die Kinder der Compañera, die Sprecherin und Kandidatin sein wird, in der Comunidad versorgen. Sie würden deren Kinder gut versorgen, so als wären es eigene. Diese könnten in die autonome Schule gehen, damit sie im Lernen nichts versäumten. Wir würden dafür sorgen, dass solidarische Ärztinnen und Ärzte sich um ihre Gesundheit kümmern. Und falls sie Tierchen haben, nun, auch die werden wir versorgen. Die Compañeras könnten dann ohne Sorgen an die Arbeit gehen, wenn der gemeinsame Beschluss des CNI es so bestimmt.
Wir sagten ihnen, sie sollten sich keine Gedanken machen darüber, wenn sie nicht gut spanisch sprechen könnten. Peña Nieto könnte es auch nicht – und da, dort steht er.
Wir sagten ihnen, wir könnten unsere Ökonomie des Widerstand reorientieren, anders organisieren und einen Aufruf an Einzelpersonen, Kollektive und Organisationen in Mexiko und der Welt machen, um die Kosten für den Transport, wohin er auch immer notwendig sei, zu übernehmen. Damit könnten sie die Freiheit erhalten, die offiziellen Gelder, die das System unabhängigen Kandidaturen bietet, zurück zu weisen.
Wir sagten ihnen, wir dächten nicht nur, sie könnten unser Land, das sich Mexiko nennt, regieren, sondern auch die gesamte Welt.
Wir sagten ihnen, sie könnten es nutzen, um andere Pueblos originarios zu sprechen und zu hören, und auch andere, die keine Indígenas sind – jedoch gleichsam ohne Hoffnung und Alternative leiden.
Wir sagten ihnen, es gäbe Sachen, die wir, Zapatistinnen und Zapatisten, machen können, und der CNI nicht. Und der CNI könnte Sachen tun, die wir, Zapatistinnen und Zapatisten, nicht tun können.
Wir sagten ihnen, sie, Frauen und Männer, das Kollektiv, das sich Congreso Nacional Indígena nennt, könnten etwas machen, was niemand anderes (den Zapatismus mit eingeschlossen) machen kann: Vereinigen, zusammen bringen. Denn eine legitime Bewegung – wie sie die Pueblos originarios sind – kann und soll ein Verbindungspunkt sein, zwischen den Verschiedenen – jedoch gleich im Streben.
Nicht aber vereinigen unter einem Sigel, einer Hierarchie, einer Liste der echten oder falschen Sigel. Nein. Zusammen bringen als ein Ort des Zusammenfließen, als Anhaltspunkt, wo Differenzen und Rivalitäten eine Gemeinsamkeit finden, worin sie übereinstimmen. Nun: die Tierra, das Land. Wer wäre dazu geeigneter als diejenigen, die von der Farbe der Erde sind.
Wir sagten ihnen, es könnte um diesen Rat und diese indigene Frau eine Bewegung entstehen, die das gesamte System zum Schaukeln bringt.
Eine Bewegung, wo all die Unten zusammen kommen könnten.
Eine Bewegung, die die Erde in ihren Zentren erbeben ließe.
Ja, in Plural, denn es sind viele Welten, die in der Erde ruhen und auf ein ordentliches Beben warten, um ans Licht zu kommen.
Wir sagten, dann wird es vielleicht gleichgültig sein, ob sie Unterschriften zusammen bringen oder nicht, ob Geld für den Transport da ist oder nicht, ob die Kandidatin die Registrierung erhält oder nicht, ob die anderen Kandidaturen debattiert werden oder nicht, ob an der Wahl teilgenommen wird oder nicht, ob sie gewonnen wird oder nicht, ob der Triumph anerkannt wird oder nicht, ob man dort oben was tun kann oder nicht.
Es wird nicht wichtig sein, weil die Probleme, Fragen, Antworten dann andere sein werden.
Wir sagten ihnen, wir würden ihnen nicht unsere Abneigungen oder Vorlieben vererben, wir würden ihre Entscheidungen, Schritte und Wege respektieren.
Wir sagten ihnen, als Zapatistas wären wir eine Kraft mehr unter denen, die sich sicherlich durch ihre Herausforderung zusammengerufen fühlten.
Und wir sagten ihnen, das Allerwichtigste, was wir ihnen zu sagen hatten: Wir sind mit all unserer Kraft zur Unterstützung bereit.
Mit allem, was wir haben, werden wir unterstützen, auch wenn es wenig ist, es ist das, was wir sind.
-*-
Es folgten dann die Beiträge, die bereits alle das Ziel hatten, den Vorschlag zu einem Vorschlag des CNI zu machen. Der eine oder andere bat, über den Vorschlag hier und jetzt sofort zu entscheiden. Die immense Mehrheit äußerte, es müsse erst befragt und abgestimmt werden.
Die Schriften-Kommission übergab uns eine Kopie des Resolutionsentwurf.
Instinktiv nahm ich einen Bleistift, um Kommata, und Punkte hinzufügen.
Der Subcomandante Insurgente Moisés hinderte mich und murmelte mir zu:
»Nein. Es ist bereits das Wort von ihnen, Frauen und Männern. Dieses Wort ist groß, größer als wir, Zapatistinnen und Zapatisten. Wie sagte der Verstorbene: Wir sind die Allerkleinsten; es ist an uns, zur Seite zu gehen und zu warten…«
DIE INTERNE ZAPATISTISCHE ABSTIMMUNG
Wir könnten die Resultate geben, und das wär’s dann. Wir denken jedoch, es könnte vielleicht helfen zu verstehen, uns zu verstehen, wenn wir den ablaufenden Prozess erzählen.
Seit dem 15. Oktober 2016 begaben sich die zapatistische Delegation des Fünften Kongresses des Congreso Nacional Indígena – gemeinsam mit der CG-CCRI (Generalkomandatur – Geheimes Revolutionäres Indigenes Komitee) des EZLN – an die Aufgabe, die interne Abstimmung zu organisieren, um die Meinung und Entscheidung der zapatistischen Unterstützungsbasen über den zentralen Vorschlag kennenzulernen.
Die Abstimmung machten wir in jeder der Gemeinden, Kollektiven, Regionen und zapatistischen Gebieten. Wir schlossen auch die Compañeras, Compañeros, Schwestern und Brüder aus der Stadt mit ein, die Teil der verschiedenen Unterstützungsgruppen der Comisión Sexta des EZLN sind. In die Abstimmung waren die zapatistischen Truppen der Insurgentes nicht mit eingeschlossen, denn es ist nicht unsere Arbeit, diese Art von Entscheidungen zu treffen.
Die Consulta machten wir nach unserer Weise, einem Leitfaden folgend, den der Subcomandante Insurgente Moisés am Morgen des 14. Oktobers 2016 – bevor der Text, »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe« öffentlich gemacht wurde – verfasst hatte:
1.- Information. – Das heißt jede Comunidad, jedes Kollektiv, jede Region und jedes Gebiet sind zu informieren über das, was in diesen Tagen des Monats Oktober 2016 gesprochen wurde. Es wurde informiert über die Schmerzen unserer Geschwister, der Pueblos des Congreso Nacional Indígena, über all die Schlechtigkeiten, die ihnen die Kapitalisten antun, die die Pueblos originarios ausbeuten, unterdrücken, verachten und berauben, wie sie ganze Pueblos vernichten. Aber nicht nur. Wir erhielten auch die Informationen, wie sie sich organisieren und Widerstand leisten – gegen diese Politik des Todes und der Zerstörung. Für diesen Bericht hier verwenden wir das Referat der provisorischen Kommission des CNI, das verfasste Dokument mit dem Namen: »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe« und die Notizen, die die zapatistische Delegation von dieser ersten Etappe des Fünften Kongresses des CNI machte.
Dieser Punkt ist sehr wichtig, denn es ist hier, wo wir unsere Schwestern und Brüder, unsere Compañeros und Compañeras, in Gehör und Herz verwandeln – für die Schmerzen und den Widerstand anderer, die so sind wie wir – an anderen Orten. Er ist sehr wichtig und dringlich, dieser Punkt, denn wenn wir uns nicht, unter einander hören, nun, noch weniger werden uns andere Personen zuhören.
2.- Der Vorschlag. – Es wurde der Vorschlag vorgestellt und erklärt: dass der Congreso Nacional Indígena einen Indigenen Regierungsrat (das ist wie ein Rat der Guten Regierung, jedoch auf Landesebene, das heißt: für ganz Mexiko) ernennt. Dieser soll aus Repräsentanten, Frauen wie Männern, aus jedem Kollektiv, jeder Organisation, barrios, tribus, naciones und pueblos, die im Congreso Nacional Indígena organisiert sind, gebildet werden. Das heißt: Dieser Rat wird gebildet von Indígenas; diese Frauen und Männer sind diejenigen, die das Land regieren werden.
Dieser Indigene Regierungsrat ist ein Kollektiv, das heißt: Nicht eine Person wird befehlen, sondern zwischen allen, Frauen und Männern, werden die Übereinkünfte, die Acuerdos, geschlossen, um zu regieren. Dieser Indigene Regierungsrat wird nicht tun, was ihm einfällt, sondern wahrnehmen und umsetzen, was die Gemeinschaften ganz Mexikos, indigene und nicht-indigene, sagen.
Das heißt, dieser Rat vertritt die 7 Prinzipien des Gehorchend Regierens: Dienen und sich nicht bedienen; repräsentieren und nicht ersetzen; vorschlagen und nicht aufzwingen; aufbauen und nicht zerstören; gehorchen und nicht befehlen; überzeugen und nicht besiegen; nach unten gehen und nicht nach oben.
Die Stimme dieses Indigenen Regierungsrata wird eine indigene Frau des CNI (und nicht des EZLN) sein; das heißt: Sie ist indigener Herkunft, sie spricht ihre originäre Sprache und kennt ihre Kultur. Bedeutet: Der Rat hat eine indigene Frau des CNI als Sprecherin.
Diese indigene Frau wird sich präsentieren als mexikanische Präsidentschaftkandidatin 2018. Da nicht all diejenigen, die den Indigenen Regierungsrat bilden, namentlich zur Kandidatur aufgestellt werden können – das würde Verwirrung stiften – wird deshalb der Name der Sprecherin des Rates aufgestellt. Diese indigene Frau ist nicht Mitglied einer politischen Partei, sondern eine unabhängige Kandidatin. So wird es genannt, wenn sich eine Person zur Wahl stellt, jedoch keiner politischen Partei angehört.
Der Indigene Regierungsrat wird – zusammen mit der indigenen Frau des CNI – all die Orte Mexikos und der Welt, die möglich sein werden, durchlaufen, um die Situation zu erklären, in der wir uns durch die Schuld des kapitalistischen Systems befinden. Dieses kapitalistische System, das die Leute von unten, die Armen auf dem Land und in der Stadt ausbeutet, unterdrückt, beraubt und verachtet, und die Natur am Zerstören ist, das heißt, es tötet die Welt, in der wir leben.
Dieser Indigene Regierungsrat wird versuchen, bald alle Indígenas in ihren Dörfern, Regionen, Gebieten, Bundesstaaten Mexikos zu sprechen und anzuhören, um sie zu überzeugen, sich zu organisieren, nicht nachzulassen, Widerstand zu leisten, und sich selbst zu regieren – so wie wir, Zapatistas, die wir sind, es machen: Niemand sagt uns, wie und was wir machen müssen, sondern die Gemeinschaften selbst entscheiden und befehlen.
Dieser Indigene Regierungsrat wird versuchen, auch alle diejenigen zu sprechen und ihnen zuzuhören, die keine Indigene sind, jedoch genauso – in Mexiko und in der Welt – ausgebeutet, unterdrückt, verachtet werden. Ihnen werden sie gleichsam eine Botschaft überbringen: der Organisierung, des Kampfs und Widerstands, der Rebellion – gemäß der Art und Weise, des Kalenders und der Geographie eines jeden.
Damit diese indigene Frau, Delegierte des CNI, durch die mexikanischen Gesetze als eine Präsidentschaftskandidatin anerkannt werden kann, müssen fast eine Million Unterschriften von Personen mit Wähler-Ausweis versammelt sein. Wenn diese zusammengebracht werden und die Unterschriften gültig sind, wird sie als unabhängige Präsidentinnen-Kandidatin Mexikos anerkannt, und ihr Name wird aufgestellt, damit im Jahr 2018, die Leute wählen oder nicht – jeder, jede nach seinem, ihrem Denken. Somit handelt es sich darum, dass der Indigene Regierungsrat und seine indigene Sprecherin, Mexiko und andere Orte, wo es mexikanische Leute gibt, durchlaufen, um die Unterschriften für die Registrierung zu erhalten. Später wird es eine nochmalige Tour geben, um die Unterstützung der Leute zu erhalten, die indigene Frau des CNI zu wählen.
Als Zapatistas denken wir: Wenn der Indigene Regierungsrat und seine Sprecherin diese Wegstrecken zurücklegen, werden sie viele Schmerzen und viel Wut, die es in Mexiko und in der Welt gibt, kennen lernen. Schmerzen und Wut von Indigenen und Nicht-Indigenen, die auch leiden – und auch Widerstand leisten.
Nun, das ist das, was gewollt wird. Es geht nicht darum, dass eine indigene Frau des CNI Präsidentin wird, sondern was gewollt wird, ist, den Armen auf dem Land und in der Stadt, in Mexiko und der Welt, eine Botschaft des Kampfs und der Organisierung zu überbringen. Deshalb betrachten wir nicht die ausreichende Unterschriften-Sammlung oder den Wahlgewinn als einen guten Ausgang (der Initiative), sondern: Wenn es gelingt, mit denen zu sprechen und die zu hören, zu denen niemand spricht und denen keiner zuhört. Von daher werden wir sehen, ob es aufgeht oder nicht, ob viele Leute Kraft und Hoffnung schöpfen, um sich zu organisieren, zu widerstehen und zu rebellieren.
Bis wohin wird es gehen? Das wird der Congreso Nacional Indígena entscheiden.
3.- Dann sprachen sie und erklärten die Punkte, die gegen den Vorschlag sprechen.
Zum Beispiel:
.- Sie werden uns als Zapatistas, die wir sind, kritisieren, weil wir sagten, wir kämpften nicht um die Macht – und jetzt wollten wir sie doch haben.
.- Sie werden uns kritisieren, wir hätten unser Wort, kein Amt zu wollen, verraten.
.- Sie werden uns kritisieren, wir sprächen schlecht über die politischen Partien, aber jetzt werden wir das machen, was wir kritisieren.
.- Sie werden uns beschuldigen, wir unterstützten die PRI-Partei, weil wir die Wahlstimmen der Linken aufspalten, und somit die Rechte gewinnen wird.
.- Sie werden uns kritisieren, dass die indigenen Frauen keine Bildung hätten und nicht spanisch, la castilla, zu sprechen wüssten.
.- Sie werden uns verächtlich machen, wir Indígenas hätten kein Denkvermögen, um regieren zu können.
.- Sie werden uns verspotten und schlecht von uns, Frauen und Männern, als Indígenas, die wir sind, sprechen.
(Obacht: Rassisten und Machisten: Noch vor Ihren Attacken wussten wir, Indígenas Zapatistas, bereits, was Sie sagen würden – ja, wir, Frauen und Männer, sind ja die Dumm- und Blödköpfe, und Sie, Sie sind sehr intelligent und sehr weise.)
In den Asambleas, den Vollversammlungen, trugen die Compañeras und Compañeros noch einige andere Punkte vor, die dagegen sprechen könnten.
Beispielsweise sprachen sie von der Sicherheit. Die Regierungen könnten eine Attacke gegen den Congreso Nacional Indígena und seine Kandidatin machen – damit die Wahl nicht gewonnen wird. Die schlechten Regierungen könnten uns attackieren, indem zapatistische Gemeinden angriffen werden – damit wir den CNI nicht unterstützen. Es könnte eine Lüge, ein Schwindel inszeniert werden, damit der CNI in seinem Kampf nicht vorankommt – denn natürlich wären die schlechten Regierungen darin geschickt und heimtückisch. Es würden die politischen Aasgeier auftauchen, um zu schauen, was sie vom Kampf der Pueblos indígenas zu ihrem eigenen Nutzen ergreifen könnten. Es könnte jemanden geben, der den Kampf der Pueblos indígenas auf einen anderen Weg wird führen wollen. Und noch anderes wurde gesagt.
4.- Dann wurden die Punkte, die für den Vorschlag sprachen, benannt; zum Beispiel:
.- Er ist dienlich, damit die mexikanische Gesellschaft die Pueblos indios in Mexiko wieder sieht und hört, die sie jetzt noch nicht einmal erwähnt.
.- Er ist dienlich, um mit Indígenas aus ganz Mexiko – die nicht organisiert sind und durch die verfluchten Kapitalisten zerstört werden – sprechen und ihnen zuhören zu können.
.- Er ist dienlich, sodass die Indígenas wieder Stolz und Anerkennung erlangen, Indígenas zu sein; auf ihre Farbe, Sprache, Kultur, Kunst, ihre Geschichte.
.- Er ist dienlich, damit sich die indigenen Frauen mit ihrer eigenen Stimme erheben und sich organisieren – wie auch die zapatistischen Frauen sich erhoben und organisiert haben.
.- Er ist dienlich, um den Leuten von unten, die ganzen Zerstörungen und Übel erklären zu können, die die verfluchten Kapitalisten produzieren.
.- Er dient dem Congreso Nacional Indígena, damit sein Modus bekannt wird und andere Pueblos, naciones, tribus, barrios indígenas ihm beitreten, und sie sich so als Indígenas kennen lernen, und ihre Schmerzen und Kräfte wahrnehmen.
.- Er ist den Zapatistas, die wir sind, dienlich, weil wir solcherart unsere indigenen Brüder und Schwestern an anderen Orten unterstützen können, damit sie ihren Kampf fortführen und in Freiheit und Würde leben können.
.- Er dient den zapatistischen Pueblos, da dadurch mehr Leute wissen werden, wie unsere Geschichte des Kampfes ist, wie wir uns organisiert haben, und sich ermutigen lassen.
.- Er ist den zapatistischen Pueblos dienlich, weil wir so organisieren lernen – uns nicht nur unter uns zu unterstützen, sondern auch andere in ihrem Kampf – wie wir es mit der demokratischen Lehrerschaft gemacht haben.
5.- Dann wurde dazu übergegangen, ob dieser Vorschlag dem Congreso Nacional Indígena dient oder nicht.
6.- Danach ging es darum, ob der Vorschlag uns als Zapatistas, die wir sind, dient oder nicht.
7.- Dann folgte die Diskussion, ob wir diesen Vorschlag, wenn die Abstimmung positiv ausgeht, unterstützen oder nicht. Und wie wir als Zapatistas, die wird sind – wenn die Abstimmung mit ja endet – diesen nicht unterstützen können. Darauf folgte dann, wie wir ihn unterstützen können – als Zapatistas, die wie sind.
Zum Beispiel können wir nicht mit Unterschriften unterstützen, weil die Zapatistas natürlich keine Wahl-Ausweise benutzen. Wir können auch nicht Kandidatinnen und Kandidaten sein, weil wir als Zapatistas nicht um die Macht kämpfen. Wir können nicht wählen gehen, weil wir diesen Wahl-Modus – ein Papier in eine Wahlurne zu stecken – nicht verwenden; denn wir treffen unsere Übereinkünfte in Asambleas, woran alle teilnehmen und ihr Wort sagen.
Jedoch können wir in anderen Formen unterstützen. Beispielsweise können wir unterstützen, indem wir diese gute Idee denjenigen, die einen Wahl-Ausweis benutzen, erklären und sie überzeugen, sie sollten ihn verwenden, um eine indigene Frau des CNI zu unterstützen. Wir können mit den Leuten aus der Stadt, die uns als Zapatistas unterstützen, sprechen, damit sie auch den Indigenen Regierungsrat unterstützen. Wir können uns als Kollektive und autonome Regierungen so organisieren, um etwas Geld zu erlangen und damit den CNI unterstützen – sodass er überall hinreisen kann, wohin es notwendig ist. Wir können mit Leuten aus der Stadt sprechen und sie überzeugen, auch sie sollten Geld für den CNI organisieren. Wir können Mexiko und der Welt erklären, wie wir es machen, um uns selbst zu regieren; und so werden Leute mit Denkvermögen erkennen – als Indígenas wissen wir, zu regieren.
-*-
Und ja, gut, alle Gemeinden wurden auch noch über eine andere Vereinbarung des Fünften Kongresses informiert: Falls in der internen zapatistischen Abstimmung (das gleiche gilt für jegliche anderen Kollektive, Organisationen, barrios, tribus, naciones, Pueblos originarios des CNI) herauskommt, der Vorschlag wird nicht unterstützt, sei eine schlechte Idee ist, man sei nicht einverstanden, wird der Congreso Nacional Indígena das respektieren, obwohl die Mehrheit dafür ist. Das heißt, man wird weiterhin als Teil des CNI gesehen. Es gibt keinen Zwang für diejenigen, die nicht einverstanden sind, das machen zu müssen, was die Mehrheit entschieden hat. Die Autonomie und die Art und Weise eines jeden wird respektiert.
So wie es in den indigenen zapatistischen Gemeinschaften gemacht wird: Diejenigen, die anders, unterschiedlich denken, sehen wir nicht schlecht an und werfen sie nicht bei den Zapatisten raus, sondern wir respektieren das und nehmen es wahr. So wie in unseren kommunitären Asambleas, den Vollversammlungen: Wir schmeißen nicht irgendjemanden raus, nur weil er in Contra dessen denkt, was die Mehrheit sagt; er bleibt weiterhin dabei.
Wie zu sehen ist, die interne Abstimmung, Consulta, fokussierte sich darauf, ob das, was sich aus der Befragung des CNI ergeben wird, unterstützt wird oder nicht. Dies sind die Ergebnisse:
Es wurden einige zehntausende zapatistische Männer und Frauen befragt. Die immense Mehrheit von ihnen manifestierte, die Entscheidung, die der CNI treffen wird – gemäß unseren Möglichkeiten – zu unterstützen. Dagegen erklärten sich 52 Compas (26 Compañeras und 26 Compañeros). Es äußerten sich 65 Compas (36 Compañeras und 29 Compañeros) als »ich weiß nicht« oder als »unentschieden«. Die Gründe derjenigen, die sich in Contra erklärten, sind verschiedene: Von einem Compa, der sagte: »Ich werde dagegen stimmen, um zu sehen, ob es war ist, dass sie mich respektieren werden und mich nicht bei den Zapatisten raus werfen« – bis hin zu denen, die argumentierten, sie wären während dieser Zeit nicht in ihrem Dorf und wollten sich nicht verpflichten, weil sie die Arbeiten, die daraus folgen werden, nicht erfüllen können. Die sich als unentschieden erklärten, meinten, es wäre überflüssig zu entscheiden, wenn man noch nicht weiß, was der CNI sagen wird; und was wäre, wenn sie sagen würden, sie unterstützen, und der CNI danach sagt, er macht es nicht.
AUF WAS WARTEN?
Compas:
Ja. Das ist jetzt der letzte Teil. Danke denen, die bis hierher gelangt sind… Hä…? Ja, klar, es bleiben in der Schwebe… ja… Zweifel, na, klar… Fragen, sicherlich… Was?… Was wird das Resultat der Befragung des CNI sein?… Wollen Sie einen Spoiler?… ok, ok, ok, lassen wir das, ich frage… Jetzt… ich soll Ihnen die Wahrheit sagen; na dann, heraus damit:
Wir sind ehrlich zu Ihnen, euch: Wir haben nicht die entfernteste Idee.
Und das stimmt.
Wir haben bereits zuvor gesehen, wie ein Vorschlag aus der Arbeit der Wörter, wie sie die Originarios gebrauchen, heraus modelliert wird. Als wäre eine Idee nicht mehr als ein unförmiger Batzen Lehm und als wären es kollektive Hände, die ihr Form, Größe, Farbe, Bestimmung geben.
Und somit, genau wie Sie, ihr, warten wir.
Obwohl, sicherlich, wir, zapatistische Frauen und Männer, wir warten nicht auf dasselbe wie Sie, ihr.
Sie, ihr – glauben wir – warten, wartet auf das Resultat und auf das, was sich daraus ableiten lassen wird.
Wir, Zapatistinnen und Zapatisten, wir warten auf das, was danach geschehen wird, den Tag danach. Für diesen Kalender bereiten wir uns bereits vor.
Aus den Bergen des Südosten Mexikos.
Subcomandante Insurgente Moisés. Subcomandante Insurgente Galeano.
Mexiko, November 2016.
Aus dem Notizheft des Gato-Perro.
Sie werden mir nicht glauben, ich hätte mich nicht darauf vorbereitet – für den Fall, dass bei der Abstimmung des CNI eine Ablehnung des Vorschlags heraus käme. Nein; ich sorge mich nicht. Ich habe meine Vorkehrungen getroffen. Zum Beispiel: Ich habe schon das ärztliche Attest, dass ich bereits auf der Warteliste für eine Geschlechter umwandelnde Operation stehe; es gibt auch schon einen Adoptionsantrag einer indigenen zapatistischen Familie. Somit werden Sie sagen können: Alles war nur ein Schachzug, damit ich der Kandidat bin…. ok, ok, ok, damit ich die Kandidatin für die Präsidentschaft der Republik bin.
Ah, meine Perversion ist prächtig, nicht wahr?
Klar, mit dieser Lösung werde ich mir zwar die weiblichen Korrespondenzen ruinieren. Ah, warten Sie, es gibt keine Korrespondenzen mehr – weder feminine noch nicht-feminine. Ah, aber wenn ich Zugang zu den sozialen Netzwerken hätte, würde ich mir mehrere Benutzerkonten anlegen (Sie, Sie würden das natürlich nicht machen; na klar, machen Sie das genau so) und verliehe mir selbst rt, follow und like – und fakte mich selbst, damit man sieht, alles ist g-l-a-u-b-w-ü-r-di-g. Wie viele unterschiedliche Benutzerkonten können – bis zu welchem Limit – angelegt werden? Nein, Sie würden das natürlich nicht machen; sicherlich haben Sie das aber bereits untersucht.
Letztendlich, mir wird schon etwas einfallen.
Tja, und jetzt, wenn der Vorschlag durchkommt, wird man malochen müssen, um die Kohle zusammen zu raffen. Ich werde mich dann mit den Compañeroas der Brigada Callejera in Kontakt setzen, dass sie mir eine Ecke in La Meche abgeben. Egal; die Straße gehört denjenigen, die darauf anschaffen gehen. Ich bin mir sicher, mein Bäuchlein wird Aufsehen erregen… Hä?… ok, ok, ok, mein Bauch… Was?… Nun gut, mein fülliger Bauch… Habe ich es euch nicht gesagt, es sind Dummereien, ja, das sind sie?
Der SupGaleano – einige Mieder sprengend.
(Nein danke, wirklich nicht, ich brauche keinen, der mich schnürt… Jaha, ich kooomme… Hören Sie, schnurstracks schicken Sie die Kohle herüber, hören Sie; das ist reines Risiko-Spiel eines Sechzigjährigen; deshalb mögen die anständigen Leute keine Die_Der; hören Sie… Hä?… Eine Reality-Show, um Knete zu kassieren?… Mit Trump, Macri, Temer, Putin und Rajoy, wie sie untereinander Nacktfotos austauschen?… Vaaadammmt… Sie sehen bereits kein Fernsehen mehr… besser sind TV-Serien als Raubkopien… Ja, an den Ständen am Eje Central gibt es schon die neuen Folgen von Games of Throne… Ja, der Tyrion und der Snow sind verwandt mit der Dayanaris… Wie soll man sagen, nun…, einen Drachen für jeden, eine Botschaft der Gerechtigkeit…, ja, in dem neuen Wappen sind Löwe, Wolf und Drachen vereint… Ja, es ist eine Version der Hydra… Ja, als ob du das große Finanzkapital mit dem Industrie- und Handelskapital vereinen würdest… Ja, das System setzt sich wieder neu zusammen, und alle von oben sind zufrieden; und die von unten, nun, zur Hölle… Ja, aber sie werden ein anderes Schlussfinale erleben… Ja, wenn die ganze Bande nach dem Krug greift, um was auch immer zu feiern, kommt eine indigene Frau an; der Thron aus Eisen ist ihr scheiß egal, mit einem Schweißbrenner wird sie ihn zum Schmelzen bringen… Nun gut, sie sind am Gucken, ob sie die Szene mit dem Schweißbrenner raus nehmen, und dafür eine Schachtel Streichhölzer nehmen – damit es länger dauert – wegen der Spannung… Ja, günstige Gelegenheit und anderer Zeitraum, aber hängt davon ab, wie viele Streichhölzer sie mit nimmt… Ja, hier, endet es… Nun, wegen diesem Brexit; die Kosten sind explodiert. Und jetzt mit dem Trump, alles noch schlimmer… Was? Ich soll keine Spoiler machen? Oh, aber warum laden Sie mich dann ein, Sie wissen doch, wie ich bin?)
Beglaubigt.
Miau-Wau.
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Anmerkungen die_der Übersetzer_in:
(1) »jefe«: Leitung, Führung
(2) »pasamontañas«: Skimützen
(3) 33. Jahrestag der Gründung des EZLN, am 17. November 1983.
(4) im Original: »odio de género«; also wörtlich: Geschlechterhass, Genderhass.
Die Sups beziehen sich jedoch an dieser Stelle explizit auf Frauen.
(5) im Original: »afrodescendiente«
(6) »desparecid@s«: mit dem »@« gendern und transgendern die Zapatistas; die deutsche Übersetzung versucht das mit »die_der« weniger elegant wiederzugeben.
(7) im Original: »loa otroa«
(8) im Original: »ezetaelene«
(9) »pueblos originarios, naciones, tribus, barrios«: wörtlich: ursprüngliche Völker/ Gemeinschaften/ Gemeinden, Nationen, Stämme, Stadtteile
(10) »insurgente, insurgenta«: aufständische Männer und Frauen: der militärische Teil des EZLN
(11) »La Calderona«: offizieller Name: Margarita Zavala, Gattin des Felipe Calderón (s. 14)
(12) im Original: »el viejerío«
(13) im Original: »calzonudos«
(14) Mit »unbefriedigter Psychopath« ist Felipe Calderón, mexikanischer Präsident 2006-20012, gemeint. Mit seiner Präsidentschaft begann der so genannte »Anti-Drogen-Krieg«.
(15) »Popol Vuh«: berühmtes Buch der Maya-Mythologie
(16) »Codices«: antike Aufzeichnungen der Pueblos originarios
(17) Meint: Er nahm an den Kämpfen des EZLN in Chiapas ab dem 1. Januar 1994 teil, am »Krieg gegen das Vergessen«.
(18) 21.12.2012
(19) »magonista«: bezieht sich auf: Ricardo Flores Magón; Revolutionär aus Oaxaca
(20) »Junta de Gobierno Indígena« /»Consejo Indígena de Gobierno«: Das sind wirkliche Wort- und damit Übersetzungsfeinheiten. Im deutschen könnte dem tatsächlich die gleichen Bedeutung gegeben werden: »Indigener Regierungsrat«. Im mexikanischen Original zeigen sich wohl auch die politischen, feinen Unterschiede zwischen beiden Versionen.
(21) »Die Rebellion der Gehenkten«; deutschsprachiger Roman von B. Traven; fünfter Teil des sechs-bändigen Caoba-Zyklus
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